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Grosse offene Drogenszene Mit einem Konsumraum will Chur die Drogenprobleme angehen

Chur hat eine der grössten offenen Drogenszenen der Schweiz. Jetzt wurde ein Gebäude für einen Konsumraum gefunden.

Die Churer Drogenszene sorgte in den letzten Monaten für negative Schlagzeilen. Die Verwahrlosung von Suchtkranken, die Aggressivität und die Beschaffungskriminalität haben zugenommen, bilanzierten die Churer Stadtbehörden. Ein Konsumraum für Suchtkranke soll Abhilfe schaffen, um die Situation zu verbessern.

Jetzt hat die Stadt einen Standort definiert. An der Sägenstrasse am Rand der Churer Altstadt wurde eine Liegenschaft ausgemacht, die sich als Konsumraum gut eigne, teilte die Stadt mit. Damit geht ein längerer Prozess zu Ende. Die Behörden nahmen – zusammen mit dem voraussichtlichen Betreiber, dem Verein Überlebenshilfe Graubünden – etwa 25 Standorte unter die Lupe.

Menschen sitzen weit hinten an einem Tisch, vorne Gemäuer
Legende: Ein Blick in den Churer Stadtgarten im Zentrum: Hier ist eine der grössten offenen Drogenszenen der Schweiz. Keystone/Gian Ehrenzeller

Dass die Liegenschaft an der Sägenstrasse die «klar geeignetste» ist, dafür seien die Lage, Nutzfläche und die Verfügbarkeit ausschlaggebend gewesen. Bereits da ist auch die Freigabe, dass das Gebäude als Konsumraum genutzt werden darf. Noch fehlen aber einzelne Bewilligungen.

Geöffnetes Tor und ein weisses Gebäude
Legende: In diesem Gebäude in Chur soll der Konsumraum entstehen. SRF/Silvio Liechti

Dass die Stadt Chur jetzt einen betreuten Konsumraum schafft, basiert auf Erfahrungen aus anderen grossen und mittelgrossen Städten wie Solothurn oder Schaffhausen. Begleitete Konsumräume gibt es in der Schweiz seit mehreren Jahrzehnten. «Die Wirksamkeit von Konsumräumen ist insbesondere dann ausgewiesen, wenn sie in eine Kontakt- und Anlaufstelle mit niederschwelligen Beratungs- und Sanitätsdienstleistungen integriert sind», heisst es von der Stadt.

Wohl ab Sommer 2024 geöffnet

«Ich bin sehr erleichtert. Und erst recht, wenn wir die Türen öffnen können», sagt der zuständige Churer Stadtrat, Patrik Degiacomi, zur erfolgreichen Suche nach einer Liegenschaft.

Bis die Türen geöffnet werden können, dürfte es Sommer 2024 werden. Das Areal gehört der Stadt, die Baracken darauf wurden bis vor kurzem von einem Kulturverein genutzt, zum Beispiel als Atelier. Noch sind einige Fragen offen. Das Areal muss noch entsprechend hergerichtet werden. Die bestehende Baracke soll genutzt werden, ergänzt mit neuen Containern.

Das führt zu einer Beruhigung im ganzen öffentlichen Raum.
Autor: Patrik Degiacomi Stadtrat Chur

Die Idee ist, um eben ein niederschwelliges Angebot leisten zu können, dass auch die städtische Anlaufstelle hierhin umzieht. Das Churer Projekt wird begleitet von Julia Joos, der Suchtbeauftragten der Stadt Bern. Dort gibt es dieses Modell seit 40 Jahren. Beides, also Kontaktstelle und Konsumraum auf dem gleichen Areal, sei wichtig, sagt sie: «Einerseits brauchen die Leute einen Ort für das Konsumieren, andererseits darf es nicht auf den Konsum beschränkt sein.»

Mit weiteren Angeboten soll der neu geschaffene Ort mitten in Chur zu einer Problemlösung beitragen, um die Auswüchse, welche die sich verändernde Drogenszene mit sich bringt, in den Griff zu kriegen. «Das führt zu einer Beruhigung im ganzen öffentlichen Raum», ist Stadtrat Patrik Degiacomi überzeugt.

Etappen der Schweizer Drogenpolitik

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  • 1924: Das erste Betäubungsmittelgesetz (BetmG) verbietet Opium und Kokain. 1951 wird das Verbot auf Cannabis ausgedehnt, der Eigenkonsum bleibt legal.
  • Ende 1970er-Jahre: Aufkommen der offenen Drogenszenen in Zürich und Bern. Diese werden Anfang 1990er-Jahre geschlossen (Zürich Letten 1995).
  • 1991: Der Bundesrat verfolgt die Vier-Säulen-Strategie von Prävention, Therapie, Schadensverminderung und Repression.
  • 1992: Der Bundesrat bewilligt die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe an 250 Abhängige. Bis 1996 werden bei über 1000 Menschen Versuche mit der kontrollierten Abgabe von Heroin, Morphin und Methadon durchgeführt.
  • September 1997: Die Volksinitiative «Jugend ohne Drogen», die eine repressive Drogenpolitik fordert, wird an der Urne mit 71 Prozent Nein verworfen.
  • November 1998: Die Volksinitiative «Droleg – für eine vernünftige Drogenpolitik», die auf Drogenlegalisierung abzielt, wird mit 73 Prozent Nein verworfen.
  • Juni 1999: Der Bundesbeschluss über die ärztliche Verschreibung von Heroin wird an der Urne mit 54.3 Prozent Ja akzeptiert.
  • 2001 bis 2004: Der Bundesrat schlägt eine BetmG-Revision vor, die den Cannabiskonsum straffrei machen soll. Diese scheitert 2004 an der zweimaligen Eintretensverweigerung des Nationalrats.
  • 2008: Eine neue Vorlage zur BetmG-Revision , welche die Cannabis-Konsumfrage ausklammert, wird vom Parlament angenommen. Rechtskonservative Kreise ergreifen das Referendum.
  • November 2008: Volksabstimmung über die BetmG-Revision (angenommen mit 68.1 Prozent) und die «Hanf-Initiative» , die Straffreiheit für den Cannabis-/Hanf-Konsum verlangt (abgelehnt mit 63 Prozent).
  • Seit 2021: Der Bundesrat denkt über eine Anpassung der Drogenpolitik nach und darüber, den Konsum aller Drogen straffrei zu machen. Seit 2022 laufen Pilotversuche für die kontrollierte Cannabisabgabe (Basel, Zürich und Lausanne). In Bern, Luzern und Biel wird für eine Studie ab Herbst 2023 Cannabis verkauft.

SRF1 Regionaljournal Graubünden, 05.10.2023, 17:30 Uhr ; 

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