Nicht immer ist es ein deutliches blaues Auge, das auf häusliche Gewalt hinweist. Schlafschwierigkeiten, Niedergeschlagenheit oder Medikamentenmissbrauch können auch Anzeichen von Übergriffen sein.
Eine Untersuchung im Kanton Tessin über die Apotheken als Erste-Hilfe-Anlaufstellen hat gezeigt, dass nur ein Bruchteil des Personals weiss, wie sie den Opfern helfen können. Dies soll sich nun ändern. Die Angestellten in Apotheken sollen deshalb potenzielle Gewaltopfer besser erkennen und aufzeigen können, wo sie Hilfe erhalten.
Wenn man die Patientin oder den Patienten kennt, sollte bei Hinweisen auf häusliche Gewalt gehandelt werden.
Bereits im Herbst werde wahrscheinlich mit der Ausbildung der Apothekerinnen und Apotheker sowie der Pharma-Assistentinnen begonnen, sagt Peter Burkhard, Präsident des Tessiner Apothekerverbands. Noch offen ist, ob die Schulung online oder an Informationsabenden geschehen soll. Mit dem Kanton werde zurzeit ein Konzept erarbeitet.
Soziale Rolle wahrnehmen
Es gehe hier nichts ums Geld, sondern um die soziale Rolle der Apotheken, betont Burkhard: «Wenn man den Patienten oder die Patientin kennt, die vielleicht nur ein Schmerzmittel kauft, sollte man bei Hinweisen auf Gewalt tatsächlich handeln.»
Bei Beat John, Geschäftsleiter Opferhilfe beider Basel, kommt dieses Engagement in Kampf gegen häusliche Gewalt grundsätzlich gut an. Denn die Organisation fordert seit langem, dass das Thema häusliche Gewalt bei der Ausbildung in Gesundheitsberufen mehr Gewicht bekommt.
Ich weiss nicht, ob jede Apotheke den geeigneten sicheren Rahmen bieten kann.
John äussert zugleich auch Zweifel: So sei nicht klar, ob jede Apotheke den geeigneten sicheren Rahmen, ein «Schutzgebäude», bieten könne. Das Ansprechen eines potenziellen Opfers sei etwa nicht möglich, wenn Kinder oder der Ehemann dabei seien. Ebenso wenig, wenn andere Kundschaft vor Ort sei.
Den Pharma-Mitarbeitenden müsse es zugleich sehr schnell gelingen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und die richtigen Worte, damit das mutmassliche Opfer nicht die Flucht ergreife, so John. Ideal hält er solche Schulungen direkt vor Ort in einer Apotheke. Er ist überzeugt: «Ist die Schulung gut, können die Apotheken eine wichtig Aufgabe übernehmen.
Pharmasuisse: Kurse für Deutschschweiz geplant
Die Tessiner Mitarbeitenden von Apotheken werden also bald geschult im Umgang mit häuslicher Gewalt. Ähnlich wurden bereits ihre Berufskolleginnen und -kollegen im Kanton Waadt weitergebildet.
Diese Pionierleistung der lateinischen Schweiz soll übrigens von der Deutschschweiz aufgenommen werden. Der Schweizerische Apothekerverband Pharmasuisse schreibt auf Anfrage, dass solche Kurse geplant seien.