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Herbst 2023 «Unser Wald braucht häufigen Regen»

Ein Rekord jagt den nächsten: Die Schweiz verzeichnete diesen Herbst bisher unüblich viel Sonnenschein, hohe Temperaturen und wenig Regen für diese Jahreszeit. Vielerorts lassen die typischen Herbstfarben auf sich warten. Ein Experte erklärt, welche Folgen das aussergewöhnliche Wetter für den Wald hat.

Thomas Wohlgemuth

Waldökologe

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Thomas Wohlgemuth forscht bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zum Thema Walddynamik.

SRF News: Wie macht sich das aktuelle Wetter im Wald bemerkbar?

Thomas Wohlgemuth: Der Wald ist grösstenteils noch grün, weil noch keine tiefen Temperaturen geherrscht haben. In Tieflagen bewirkt die akute Trockenheit bei verschiedenen Baumarten eine Verbraunung der Blätter. Statt herbstlich bunt sind die Bäume oft bräunlich – ein Zeichen, dass die Blätter infolge Wassermangels auf flachgründigen Böden verdorren.

Wir beobachten, dass die Bäume massenhaft Früchte produzieren. Das schwächt den Baum.

Ein rascher Laubfall durch Verdorren kann ein Schutzmechanismus sein – der Baum verliert so kein Wasser mehr, oder das Phänomen ist ein Indiz dafür, dass der Wassertransport zu den Blättern wegen Wassermangels bereits unterbrochen ist. Solche Zweige sterben dann ab. Diese Situation beobachteten wir schon 2018.

Gibt es noch andere Effekte?

Wir beobachten, dass eine Massenfruktifikation stattfindet. Das heisst, die Bäume produzieren massenhaft Früchte. Dazu kommt es nicht jedes Jahr. Ist das aber der Fall, schwächt das den Baum, denn für die Fruchtbildung und die Blüten braucht es mehr Wasser. Bei Trockenheit verschärft sich das Problem.

Blick auf Wald an Hang mit blauem Himmel
Legende: Blauer Himmel und viel Grün in Gibidum, nahe Brig, im Kanton Wallis (12.10.23). Priska Herger

Das heisst, die hohen Temperaturen sind nicht das Hauptproblem, sondern die Trockenheit?

Genau. Wenn der Boden austrocknet, erreichen die Wurzeln das Wasser nicht mehr. Entsprechend gibt es einen Wasserstress und Zweige und Äste sterben ab. Dieser Stress summiert sich mit jeder Trockenperiode. Im schlimmsten Fall sterben dann einige Bäume – vor allem alte – ab. Noch wissen wir aber nicht, wie sich die aktuelle Dürreperiode längerfristig auswirken wird: Ob die Bäume das gut überstehen, oder ob es langfristige Folgen geben wird. Das wird sich erst zeigen.

Wird es auch in Zukunft immer heisser, dann wird die eine oder andere Baumart wegsterben.

Gibt es Baumarten oder Regionen, die derzeit besonders leiden?

Grundsätzlich ist es so, dass Baumarten in den tiefsten Lagen am stärksten betroffen sind. Der Norden der Schweiz ist zudem sensibler, weil es dort grundsätzlich trockener ist. In den Zentralalpen trifft es vor allem das Wallis und das Mendrisiotto stark – den tiefsten Teil des Tessins.

Ist das alles bereits ein Fingerzeig auf den Wald der Zukunft?

Eindeutig. Wir müssen davon ausgehen, dass die Dürreperioden in allen Vegetationsperioden zunehmen werden. Es könnten mehr werden pro Jahr oder sie könnten länger und ausgedehnter stattfinden. Beides ist nicht gut für unseren Wald im Mittelland, der sich atlantische Gegebenheiten gewohnt ist – also relativ häufigen Regen. Wird es auch in Zukunft immer heisser, dann wird eine Limitierung des Baumbestandes stattfinden. Die eine oder andere Art wird wegsterben.

Das Gespräch führte Vera Leuenberger.

SRF 1, 12.10.2023, 19:55 Uhr ; 

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