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Hilfe für die Ukraine «Die Schule meiner Tochter muss einen Bunker haben»

Der ukrainische Vize-Aussenminister konfrontierte Politiker im «Club» mit dem Alltag der Menschen im Krieg. Und fordert: Die Schweiz soll mehr tun. Etwa mit einer Taskforce versteckte Oligarchengelder aufspüren.

Seit Monaten sucht Andrii Melnyk für seine Tochter eine Schule mit Bunker – und findet keine. «Die Schule muss aber einen Bunker haben», sagt er, der sieben Jahre lang Botschafter in Berlin war und letzten Herbst nach Kiew zurückkehrte. Seine Nichte wurde im letzten Herbst eingeschult und verbrachte die Hälfte ihrer Schulzeit in einer U-Bahn-Station – weil die Schule keinen Bunker hatte.

Nach dieser Aussage ist es für einen langen Moment ruhig in der Runde, die sonst so angeregt diskutiert. Der heutige Vize-Aussenminister Andrii Melnyk wird aus Kiew in die Sendung zugeschaltet. Anstelle eines Sessels steht ein Bildschirm in der Runde. Das Thema dieses «Clubs»: «Ukraine-Hilfe: Feige Schweiz?»

Mit Barbara Lüthi diskutierten:

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  • Pirmin Bischof, Ständerat Mitte
  • Alfred Heer, Nationalrat SVP
  • Andrii Melnyk
  • Katja Gentinetta, politische Philosophin
  • Jon Pult, Nationalrat SP
  • Oliver Zihlmann, Co-Leiter Recherchedesk Tamedia.

Die Schweiz tut nach Ansicht von SP-Nationalrat Jon Pult tatsächlich viel zu wenig, um der ukrainischen Bevölkerung zu helfen – oder auch den Schulkindern in den U-Bahn-Stationen: «Wir sind in allen Bereichen zögerlich, zurückhaltend und knausrig.» Bei Waffenlieferungen, beim Wiederaufbau, bei der Durchsetzung der Sanktionen gegen Russland.

Melnyk in Kiew gibt sich diplomatischer. Er spricht oft von «unseren Schweizer Freunden» und statt dass er Forderungen stellt, sagte er, die Schweiz soll kreative Lösungen suchen. Nur einmal kann er sein Unverständnis nicht mehr verbergen: «Wie kann man neutral sein in einer Situation, in der es diesen Terror gegen die Zivilbevölkerung gibt?» fragte er. «Gegen Frauen und Kinder, die Tag und Nacht ermordet werden?»

Wenn es um versteckte Oligarchengelder gehe, spielt die Schweiz in der obersten Liga.
Autor: Andrii Melnyk Vize-Aussenminister der Ukraine

So findet auch Melnyk, dass die Schweiz mehr tun soll, gerade bei Oligarchengelder: «Die Russen verstecken ihre Gelder sehr klug. Die Schweiz könnte eine Schlüsselrolle spielen und aufzeigen, wie man effektiv gegen versteckte Gelder vorgeht.» Sie sei zwar ein kleines Land, «aber sie ist kein Zwerg», sagt er. Und wenn es um versteckte Oligarchengelder gehe, spiele sie gar in der obersten Liga.

Das zeigen auch Recherchen von Oliver Zihlmann, Co-Leiter des Recherchedesks Tamedia. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Russland. Die Schweiz, so sagt er, ist eine Weltmacht, wenn es darum geht, Firmenkonstrukte zu schaffen, um die Herkunft von Geldern zu verschleiern. So gibt es eine Liste all jener Gesellschaften, bei denen die Behörden von British Virgin Islands wegen des Verdachts auf Geldwäscherei vorstellig geworden sind. «Ein Viertel dieser Firmen wurde von Schweizer Anwälten konstruiert», sagt Zihlmann.

Zihlmanns Aussage blieb nicht unwidersprochen: «Wir sind im Gegenteil die Weltmacht im Aufdecken von Oligarchengeldern», sagt Mitte-Ständerat Pirmin Bischof. Und SVP-Nationalrat Alfred Heer meint: «Sie finden keine Schweizer Bank, die Geld von einem Russen annimmt. Das käme einem Selbstmord gleich.»

Die «Prise Opportunismus» der Schweiz

Die Schweiz, so beobachtet die politische Philosophin Katja Gentinetta, will sich die Neutralität nicht nur aus moralischen Gründen bewahren, sondern auch, weil sie so mit allen Staaten Geschäfte machen kann. «Diese Prise Opportunismus zeigt sich immer wieder.»

Erst kürzlich hat das Schweizer Parlament darüber diskutiert, ob eine Taskforce gegründet werden soll, die versteckte Gelder aus Russland aufspürt – und hat abgelehnt. «Das hat uns enttäuscht», sagte Melnyk.  Und ruft die Politikerinnen und Politiker wieder ganz diplomatisch dazu auf, «nochmals darüber zu diskutieren».

Club, 20.6.2023, 22:25 Uhr

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