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«Historischer Prozess» Prozess gegen Belarussen: Die Welt blickt auf Rorschach – warum?

Ein Ex-Mitglied von Lukaschenkos Sondereinheit wurde von einem Schweizer Regionalgericht freigesprochen. Der Prozess wird von Menschenrechtsorganisationen als «historisch» betitelt. Eine Einordnung.

Worum geht es? Das Kreisgericht Rorschach hat einen Mann aus Belarus vom Vorwurf freigesprochen, am Verschwindenlassen von Oppositionellen Ende der 1990er-Jahre beteiligt gewesen zu sein. Der Mann hatte gegenüber Medien und Asylbehörden angegeben, als Mitglied einer Sondereinheit bei der Verhaftung von Oppositionellen geholfen zu haben und Zeuge ihrer Ermordung geworden zu sein. Das Gericht hatte Zweifel an seiner Schuld.

Skizze aus dem Gericht.
Legende: Der Angeklagte hatte sich mit einem umfassenden Geständnis selbst belastet: Er sei als Mitglied einer Spezialeinheit 1999 an der Entführung und Ermordung von drei Regimegegnern in Belarus beteiligt gewesen. KEYSTONE/Linda Graedel

Es gab einen Freispruch. War alles für nichts? Natürlich sind die Opferangehörigen enttäuscht, ebenso die Nichtregierungsorganisationen, die den Prozess durch eine Anzeige ins Rollen gebracht haben. Aber das Gerichtsverfahren war für sie nicht vergebens, sie sind im Gegenteil froh, dass es stattgefunden hat. Denn durch die Gerichtsverhandlung wurde der Blick der Weltöffentlichkeit auf die Verbrechen des Regimes in Belarus gerichtet.

Inwiefern profitieren die Opferangehörigen? Aus deren Sicht ist der Prozess auch deshalb nicht vergebens, weil der Beschuldigte detailliert schilderte, was im Jahr 1999 angeblich passiert ist. Für die Opferangehörigen klingen seine Schilderungen glaubwürdig, sie haben durch den Prozess also etwas mehr Klarheit bekommen.

Eine besonders perfide Tat

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Das Verschwindenlassen von Personen ist eine besonders perfide Tat: Die Angehörigen wissen über Jahre hinweg nicht, was passiert ist. Sie hoffen vielleicht sogar, dass die geliebte Person noch lebt. Durch diese Ungewissheit werden die Angehörigen psychisch gequält.

Wie geht es weiter? Es ist es sehr wahrscheinlich, dass das Urteil an die nächste Instanz weitergezogen wird. Gut möglich, dass sich am Ende sogar das Bundesgericht äussern wird. Das ist gut so, denn der Tatbestand des Verschwindenlassens von Personen kommt in der Schweiz das erste Mal überhaupt zur Anwendung.

Welche Bedeutung hat der Prozess? Eigentlich ist dieser Fall juristisch nicht wahnsinnig komplex. Das Regionalgericht musste in erster Linie beurteilen, wie glaubwürdig der Angeklagte ist. Am Prozess war auch Thema, ob das Delikt verjährt ist, beziehungsweise, ob der neue Artikel im Strafgesetzbuch von 2017 überhaupt zur Anwendung kommen kann oder nicht – weil die Tat vorher begangen wurde. Dabei stellte sich die Frage, wann das Dauerdelikt des Verschwindenlassens beendet ist: Dann, wenn etwas über den Verbleib der verschwundenen Personen publik wird, oder dann, wenn der Täter redet? Das höchste Gericht könnte diese Fragen in einem Leitentscheid beantworten.

Verschwindenlassen: Auch ohne Bezug zur Schweiz strafbar

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Auch wenn keinerlei Bezug besteht, ist das Verschwindenlassen von Personen hierzulande strafbar. Denn gemäss Schweizer Strafgesetzbuch ist einzige Voraussetzung, dass der Täter sich in der Schweiz aufhält und nicht ausgeliefert wird. Die Schweiz hat diesen Straftatbestand eingeführt, nachdem sie das UNO-Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen ratifiziert hat.

Bei Verbrechen, die für ein Regime begangen wurden, entziehen sich die Täterinnen und Täter nach einem Regierungswechsel häufig der Strafverfolgung, indem sie sich ins Ausland absetzen. Mit dem Artikel im schweizerischen Strafgesetzbuch wird verhindert, dass das Verschwindenlassen von Personen ungesühnt bleibt: Wenn der Täter nicht ausgeliefert werden kann, weil ihm beispielsweise Folter droht, springt die Schweiz mit einer stellvertretenden Strafverfolgung ein.

Was bedeutet der Freispruch für die Menschen in Belarus? Auch wenn es vor der ersten Instanz zu einem Freispruch gekommen ist, könnte der Prozess in der Schweiz eine Signalwirkung haben: Mitarbeitende des Regimes – auch Niedrige in der Hierarchie – wissen nun, dass ihnen im Ausland der Prozess gemacht werden kann. Dass man für die amtierende Regierung gehandelt hat, ist im Ausland kein Schutz. Das könnte den einen oder anderen vielleicht doch zum Nachdenken bringen – und der Bevölkerung Hoffnung geben, dass die Verbrechen des Regimes nicht ewig straflos bleiben.

SRF 4 News, 28.09.2023, 16:00 Uhr

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