Giorgio Ghiringhelli lebt mit seiner Frau in Losone bei Locarno. Auf dem Vorplatz ihres Häuschens steht ein knallroter Toyota-Oldtimer. Neben der Türklingel hängt ein Schild: «Vorsicht bissiger Hund und Hausherr».
Ghiringhelli lädt freundlich in sein Reich ein. Ein bissiger Hund ist weit und breit nirgends zu sehen. «Das Schild ist ein Bluff», sagt der 67-Jährige. «Ich bin der Hund.» Ein Hund, genauer gesagt eine Dogge, ist auch das Symbol seiner Bewegung, die er vor mehr als 20 Jahren gegründet hat: Guastafeste – Spielverderber.
Er führt in sein Büro. Rund um seinen Schreibtisch stehen Bücherregale. Darauf stehen dicht an dicht akribisch beschriftete Mäppchen und Ordner. «Ich arbeite mit dem Kopf und nicht mit dem Bauch», sagt Ghiringhelli. Er betont gern seine Faktentreue und zeigt seine Dokumentationen. Der Begründer der Mini-Bewegung Guastafeste war lange Zeit freier Journalist und gehört keine Partei an. Er beschreibt sein Handeln so: «Ich mache Gegen-Politik. Ich bin ein Bürger, der die kontrolliert, die an der Macht sind.» Er sei nicht an der Macht.
Doch Ghiringhelli hat insofern Macht, als er es schafft, sich beim Stimmvolk Gehör zu verschaffen. Die Unterschriften seiner Initiativen hat er verhältnismässig schnell zusammen. Drei von sechs waren bisher an der Urne erfolgreich – darunter jene für ein Verhüllungsverbot. Sein Erfolgsrezept: Bürgernähe.
«Wenn ich eine Initiative starte, bin ich ständig draussen und rede mit den Menschen.» Bei der «Notwehr-Initiative», die am Sonntag knapp abgelehnt wurde, und bei der Initiative für ein Verhüllungsverbot habe er aber nicht viel erklären müssen. «Sie sahen das Thema und unterschrieben sofort.»
Ghiringhelli ist stolz auf sein Engagement. Auch wenn dieses kaum einen Einfluss auf den Alltag der Menschen hat. Es gibt im Tessin kaum Burka-Trägerinnen und kaum jemand muss sich durch Notwehr verteidigen oder gar jemanden töten.
Jeder hat in einer direkten Demokratie die Möglichkeit, für das zu kämpfen, was ihm wichtig ist.
Das alles kümmert Ghiringhelli nicht. Er sagt, seine Initiativen seien für den Einzelfall – denn auch dieser sei wichtig. Es geht ihm also ums Prinzip und darum, sein Bürgerrecht wahrzunehmen. «Wir leben in einer direkten Demokratie. Jeder hat die Möglichkeit, für das zu kämpfen, was ihm wichtig ist.»
«Ich amüsiere mich sehr»
Und der politische Kampf ist für Ghiringhelli offenbar reines Vergnügen, ja gar sein Hobby. «Ich amüsiere mich dabei sehr. Sonst wäre ich ja verrückt, bei dem Aufwand, den ich betreibe.» Er nehme die Sache sehr ernst, ohne dabei den Humor zu verlieren.
Ghiringhelli ist im Tessin bei politisch Interessierten sehr bekannt. Sein Arbeitseifer findet vielerorts Beachtung. Gleichzeitig aber wird er auch belächelt, weil er sich eben um Spezialfälle und nicht um den Alltag der Menschen kümmert. Es gibt auch Stimmen, die ihn als Pedanten und Rassisten bezeichnen. Das Gerede über ihn störe ihn nicht, sagt er. Solange er Menschen finde, die ihm per Einzahlungsschein Geld für sein Hobby überwiesen, mache er weiter, sagt Ghiringhelli.
Echo der Zeit, 10.2.2020, 18 Uhr; reia;eglc