Das Wichtigste in Kürze:
- Ein Drittel aller Reben wachsen im Kanton Wallis.
- Aufgrund der schwierigen Topografie werden Pestizide nicht nur vom Boden, sondern auch mit dem Helikopter ausgebracht. Dabei werden Mindestabstände zu Hecken, Wäldern und Gewässern oft missachtet.
- Im Bach Tsatonire im Wallis wurden im Zuge einer Untersuchung 64 verschiedene Pestizide festgestellt.
- Experten halten Pestizide für eine der grössten aktuellen Bedrohungen unseres Trinkwassers.
- Im intensiv genutzten Mittelland finden sich im Grundwasser viele Rückstände von Pestizidabbauprodukten, welche noch jahrzehntelang im Boden verweilen.
Morgens um sieben Uhr in einem Rebberg in der Nähe von Siders: Ein speziell präparierter Helikopter versprüht Chemikalien gegen Pilzkrankheiten. Die Chemiedusche ist effizient, aber ungenau. Die Pestizide landen nicht nur auf den Reben, sondern auch dort, wo sie nicht hingehören – auf Strassen, an Waldrändern und in Bächen.
Ein Bericht der Denkwerkstatt Vision Landwirtschaft belegt Brisantes: Der Mindestabstand von 20 Metern zu Wäldern und Bächen werde systematisch missachtet. Und zwar seit Jahren.
Reben stehen viel zu nah an Gewässer
Befunde, die auch der «Kassensturz»-Reporter an diesem Morgen vor Ort vorfindet. Im Uferbereich des Baches Tsatonire finden sich Spuren von illegalen Gifteinsätzen, die vom Boden aus getätigt wurden: Braune, abgestorbene Pflanzen weisen auf einen Herbizideinsatz in nächster Nähe des Gewässers hin. Brisant: Hier stehen die Reben direkt am Bach. Dabei müsste hier ein drei Meter breiter Grünstreifen pestizidfrei sein.
Bei einem Drainagerohr aus einem Rebberg finden sich auf dem Wasser Schaumkronen. Ein Hinweis auf ausgewaschene Pestizide. Das Rinnsal verschwindet in einem Wasserschacht.
Pestizid-Cocktail in Bach
Dass hier übermässig Pestizide eingesetzt werden, bestätigt auch ein Bericht des eidgenössischen Wasserforschungsinstituts EAWAG. Das Institut hat die Tsatonire ein halbes Jahr lang untersucht und 64 unterschiedliche Pestizide gefunden. Einige in Konzentrationen, die sogar über dem gesetzlich zugelassenen Höchstwert liegen.
Das ist nicht gut, aber es ist halt so.
Der «Kassensturz»-Reporter spricht einen Weinbauer auf die Pestizid-Einsätze an. Sein Rebberg grenzt direkt an den Bach. Er spritzt Herbizide auf den Boden, damit zwischen den Reihen kein Gras wächst. «Die Gräser da werden zu gross, deshalb brennt man sie chemisch ab.»
Angesprochen auf die Gefahr, dass Pestizide auf diese Weise in den Bach gelangen und das Wasser verschmutzen, meint der Winzer: «Das ist nicht gut, überhaupt nicht gut. Aber es ist halt so.» Eine Alternative zum Pestizideinsatz sieht er nicht. Die einzige Möglichkeit, die ihm bleiben würde: Die Reben entlang des Baches auszureissen. Oder auf die Chemie zu verzichten.
Walliser Behörden kontrollieren zu wenig
In ihrem Bericht prangert Vision Landwirtschaft diese Gesetzesverstösse seit 2013 an. Doch geändert hat sich seitdem kaum etwas. Offensichtlich kontrollieren die Behörden viel zu wenig. Gegenüber «Kassensturz» räumt Stéphane Emery von der Dienststelle für Landwirtschaft des Kantons Wallis ein, dass auf verschiedenen Parzellen in Rebbergen die Schutzstreifen zu Bächen fehlen und Pestizide illegal angewandt werden.
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Und dass die Kontrollen nicht genügen: «Zurzeit werden die Kontrollen von einer externen Stelle ausgeführt. Wir müssen leider feststellen, dass diese Kontrollen nicht reichen, um auf diese illegalen Praktiken aufmerksam zu machen». Die Behörde will deshalb selber zusätzliche Kontrollen durchführen: «Um die Parzellen entlang der Bäche besonders genau zu kontrollieren. Im Falle eines Verstosses werden Sanktionen ergriffen.» Die Kontrollen sollen in diesem Jahr oder spätestens 2018 stattfinden.
Trinkwasser-Experten warnen vor Pestiziden
Doch das Pestizid-Problem betrifft nicht nur das Wallis. Ganz im Gegenteil, wie ein EAWAG-Bericht festhält. Im Eschelisbach am Bodensee haben die Wissenschaftler 89 verschiedene Pestizide festgestellt. Rekord. Roman Wiget, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein, macht sich ernsthafte Sorgen um die Schweizer Gewässer: «Die Pestizidbelastung des Trinkwassers durch die Landwirtschaft gehört aktuell zu den grössten Bedrohungen des Trinkwassers.»
Tatsächlich. Eine Karte des Bundesamtes für Umwelt zeigt kritische Befunde. Rund 70 Prozent der Messstellen im landwirtschaftlich intensiv genutzten Mittelland haben Rückstände von Pestizidabbauprodukten in Konzentrationen über dem Anforderungswert von Pestiziden. «Die Situation ist darum auch aus unserer Sicht alarmierend und verlangt ein grundsätzliches Umdenken in der Landwirtschaft», so Roman Wiget.
Pestizid-Abbauprodukte reichern sich im Boden an
Nach heutigem Stand sind die gemessenen Stoffe zwar nicht gefährlich. Unerwünscht seien sie trotzdem, sagt Kurt Seiler, Kantonschemiker des interkantonalen Labors Schaffhausen. «Sie kommen doch in recht hohen Konzentrationen vor, und sie sind sicher unerwünscht im Trinkwasser.» Problematisch sei ausserdem die Tatsache, dass sich diese Abbauprodukte im Boden anreichern. «Selbst wenn wir jetzt auf diese Wirkstoffe verzichten würden, haben wir noch während Jahren und Jahrzehnten Auswaschungen ins Grundwasser.»