Mohamed Tamri hat seinen Sohn seit seinem zweiten Geburtstag nicht mehr gesehen. Die Mutter des Kindes ist aus den Ferien bei ihren Eltern in Marokko nicht zurückgekommen.
«Eigentlich haben marokkanische Gerichte mehrmals entschieden, dass sie das Kind in die Schweiz zurückbringen muss», erzählt Tamri. Doch die Kindsmutter habe gegen jeden Entscheid Berufung eingelegt.
Inzwischen sind über drei Jahre vergangen, in denen Tamri seinen Sohn nur per Videotelefonie gesehen hat. «Bei einem solchen Telefonat wollte mein Sohn mir seinen ‹Vater› zeigen und ist mit dem Smartphone zu einer Person gerannt – er meinte seinen Opa», sagt Tamri. Das sei für ihn schon sehr hart gewesen.
Die Mutter hat auf eine Anfrage von SRF nicht reagiert. Deshalb kommt hier einzig die Sicht des Vaters vor.
Eigentlich sollte es schnell gehen
Marokko und die Schweiz haben das Haager Kindesentführungsübereinkommen unterzeichnet. Dieses will dafür sorgen, dass entführte Kinder rasch zurückgebracht werden – innert sechs Wochen ist das Ziel. Dass es Jahre dauert wie bei Tamris Sohn, entspricht nicht der Idee des Abkommens.
Ob Mohamed Tamri ein Einzelfall ist oder ob generell Schwierigkeiten mit Marokko bestehen, will das Bundesamt für Justiz nicht beantworten: «Wir wollen nicht einzelne Länder an den Pranger stellen», sagt Informationschefin Ingrid Ryser. Es wäre kontraproduktiv, wenn Leute wüssten, dass Entführungsfälle in diese Länder nicht so schnell bearbeitet werden. «Grundsätzlich haben wir jedoch festgestellt, dass wir mit Ländern, die ein spezielles Verfahren für Entführungsfälle eingeführt haben, schneller ans Ziel kommen.» Das sind zum Beispiel Deutschland, die Niederlande und Grossbritannien.
Wäre das Kind nach Deutschland entführt worden, wäre es zurück
Mohamed Tamri ist deutsch-marokkanischer Doppelbürger. «Wenn meine Ex-Frau unseren Sohn nach Deutschland entführt hätte, wäre er längst zurück – und eine Entfremdung hätte nie stattgefunden.»
Wenn in Deutschland entschieden wird, dass ein Kind zurückmuss, kann nämlich nur einmalig innert zwei Wochen Beschwerde dagegen eingelegt werden. Danach gibt es keine weiteren Rechtsmittel oder Instanzen. Laut dem deutschen Bundesamt für Justiz hat sich diese Regelung in der Praxis bewährt.
Berufung gegen ein Urteil einlegen zu können, dient der Qualität der Rechtsprechung: So können Fehlurteile verhindert werden. Dass Berufungen jedoch die Rückführung eines entführten Kindes um Jahre verzögern können, versteht Mohamed Tamri nicht: «Ein Urteil ohne Vollstreckung hat keine Bedeutung für mich.»