Vor 100 Jahren haben Liechtenstein und die Schweiz die wirtschaftliche Zusammenarbeit vertraglich geregelt. Seither sind die Grenzen offen. Einst war Liechtenstein eher nach Österreich orientiert – wegen der Fürstenfamilie. Die Fürstenfamilie aus Liechtenstein hatte ihren Wohnsitz immer in Wien. Erst 1938 ist sie nach Liechtenstein gezogen.
1919 kündigte Liechtenstein den Zoll- und Steuervertrag, den man 1852 mit Österreich abgeschlossen hatte. Die Hoffnung war, möglichst schnell einen Vertrag mit der Schweiz abschliessen zu können. Vier Jahre später, am 29.03.1923, unterzeichneten Liechtenstein und die Schweiz den Zollvertrag.
Seit 1923 gibt es zwischen Liechtenstein und der Schweiz keine Grenzkontrollen mehr. Die beiden Länder sind eng verbunden. Vom Zollvertrag profitierte am Anfang vor allem die Textilindustrie. Heute sind viele Bereiche des Lebens zwischen den beiden Ländern vertraglich geregelt.
Die Schweiz habe in der Anfangsphase wiederholt mit der Kündigung des Zollvertrags gedroht, um politischen Druck auf Liechtenstein auszuüben, sagt Politologe Christian Frommelt. Sie wollte zum Beispiel eine Lotteriegesellschaft verbieten oder die Gründung einer Spielbank in Liechtenstein verhindern.
Vertrag brachte Aufschwung
«Der Vertrag hat den Grundstein gelegt für eine wirtschaftliche Gesundung», sagt Historikerin Martina Sochin D'Elia. Auch wenn Liechtenstein in den 1930er-Jahren auch von einer Wirtschaftskrise geprägt gewesen sei. «Man war überzeugt: Ohne die Schweiz wäre es noch viel schwieriger gewesen».
1924 führte Liechtenstein den Schweizer Franken als Währung ein, erst seit 1981 gibt es einen Währungsvertrag. Die hundertjährige Geschichte der Zusammenarbeit zeige, dass mögliche Konflikte immer sehr pragmatisch und lösungsorientiert aus der Welt geschafft wurden, sagt die Liechtensteiner Historikerin Martina Sochin D'Elia.
Mögliche Konflikte wurden immer sehr pragmatisch und lösungsorientiert aus der Welt geschafft.
Der Zollvertrag war für Liechtenstein auch das Tor zur Welt. Die Freihandelsabkommen, welche die Schweiz mit anderen Staaten abgeschlossen hatte, galten dank der Zollunion auch für Liechtenstein.
Abgrenzung im EWR
Beim Europäischen Wirtschaftsabkommen EWR hat Liechtenstein entschieden anders reagiert als die Nachbarin Schweiz. Bis heute bekommen es die Liechtensteiner irgendwie unter einen Hut, auf der einen Seite in der Zollunion und Währungsunion mit der Schweiz zu sein und gleichzeitig sehr viele Gesetze über den EWR von der EU zu übernehmen. «Parallele Verkehrsfähigkeit wird das genannt», sagt Martina Sochin D'Elia. Auch hier habe die Schweiz Hand geboten, dass Liechtenstein flexible, pragmatische Lösungen finden konnte.
«Aus dem Rucksack der Schweiz aussteigen»
In der sogenannten «Rucksackrede» forderte Erbprinz Hans Adam in den 70er-Jahren, dass Liechtenstein eigenständiger werden müsse.
«In einem gewissen Grad haben wir einen Trade off», sagt Politologe Christian Frommelt. «Wir delegieren und outsourcen weiterhin viel an die Schweiz und verzichten damit auf unsere Autonomie.» Hier gebe Liechtenstein die Verwaltungseffizienz ab. Das betrifft beispielsweise die Berufsschulen oder die Spitäler. Und trotzdem: Die Akzeptanz und Wertschätzung des Zollvertrages mit der Schweiz sei in der Bevölkerung Liechtensteins extrem hoch, sagt Frommelt.