Lehrerin, Pfarrerin, studierte Sozialarbeiterin, internationale Wahlbeobachterin und Direktorin einer Justizvollzugsanstalt – der Lebenslauf von Annette Keller ist fast so vielfältig wie die Erfahrungen, die sie in den 25 Jahren in der Justizvollzugsanstalt Hindelbank gesammelt hat. Zuerst als Betreuerin, dann als Direktorin. Kurz vor ihrer Pensionierung zieht die Direktorin der Justizvollzuganstalt im Tagesgespräch von Radio SRF ein Resümee.
SRF News: Was ist der grösste Unterschied zwischen ihrem ersten Arbeitstag 1999 und ihrem letzten vergangene Woche?
Annette Keller: Die Professionalisierung. Es gibt verschiedene Berufsfelder in einer Justizvollzugsanstalt , und jedes ist professioneller geworden. Als ich als Betreuerin angefangen habe, war meine erste Aufgabe, Gardinen für unser Büro zu nähen. Das wäre heute undenkbar.
Warum sind Frauen viel seltener inhaftiert als Männer?
Es gibt ein paar wenige Studien dazu, aber keine einfache Erklärung. Ein möglicher Erklärungsansatz ist die unterschiedliche Erziehung und Sozialisation von Mädchen und Jungen, insbesondere in Bezug auf das Problemlöseverhalten.
Ein anderer ist das unterschiedliche Rollenverständnis und die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Früher dachte man, dass sich das Verhältnis von inhaftierten Frauen und Männern im Zuge der Gleichstellung angleichen würde. Das ist aber nicht eingetreten, was mich auch überrascht hat.
Frauen in Justizvollzugsanstalten werden häufig als Opfer dargestellt, ist dies berechtigt?
Etwa die Hälfte der Frauen in Hindelbank hat selbst körperliche Gewalt erfahren und bei den Frauen, die ein Gewaltdelikt begangen haben, sind es rund zwei Drittel. Dies ist sicherlich überdurchschnittlich. Das ist besonders wichtig im Hinblick auf die Prävention. Wir müssen schauen, was diesen Frauen passiert ist, wie es zu der Tat gekommen ist und wie man das in Zukunft verhindern kann.
60 Prozent der Frauen in der Justizvollzugsanstalt sind Mütter, wie gehen sie damit um?
Die Trennung von den Kindern ist für fast alle die grösste Strafe. Die Schuldgefühle, die Trennung von den Kindern selbst verursacht zu haben, sind enorm. Verschiedene Fragen beschäftigen die Frauen, wie sie aus der Haft heraus ihre Mutterrolle wahrnehmen können oder wie sie wieder eine Vorbildfunktion einnehmen können. Unsere Sozialarbeiterinnen versuchen, die Frauen zu unterstützen und zu beraten. Für Kinder bis zu drei Jahren gibt es die Möglichkeit, dass sie bei der Mutter bleiben können. Da es für die Kinder aber kein normaler Alltag ist, immer in der Wohngruppe zu sein, werden sie tagsüber in die örtliche Kita gebracht.
Ist die Freiheitsstrafe eine sinnvolle Sanktion?
Die Justizvollzugsanstalt ist so gut wie möglich ausgestattet, aber es ist auch ein schwieriges System. Die Menschen werden aus der Gesellschaft herausgenommen. Ihnen wird unter anderem die Freiheit genommen, selbst zu entscheiden, wie sie ihren Tag verbringen und wo sie wohnen wollen.
Die Entlassung beginnt mit dem ersten Tag des Eintritts.
Gleichzeitig sollen die Menschen in der Anstalt darauf vorbereitet werden, sich erfolgreich und ohne Rückfall wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Die Entlassung beginnt mit dem ersten Tag des Eintritts.
Aus dem Tagesgespräch mit Karoline Arn, Mitarbeit Géraldine Jäggi.