«Erdrelief» heisst die Idee von Melchior Dönni. Am 24. September 1902 beantragte er darauf ein Patent. Zur Veranschaulichung hat er ein Modell gebaut. Es ist eine kreisrunde Scheibe aus Papiermaché: am Rand weisse Berge, dann blaues Meer und in der Mitte die Kontinente. Europa, Amerika, Afrika, Australien und Asien gruppieren sich flach um den Nordpol.
Das Patentamt in Bern bewilligt den Antrag von Melchior Dönni. Er ist überzeugt: Die Erde ist eine Scheibe, und die Sonne kreist darüber. Bald hat der Globus im Schulzimmer ausgedient und wird ersetzt mit seinem Relief. Ein Geschäft, an dem er dank des Patents gutes Geld verdient.
In den Katakomben des Bundesarchivs
Passiert ist nichts dergleichen. Trotzdem hat das Erdrelief von Melchior Dönni bis heute überdauert. Urs Hafner hat das Modell im Herbst 2023 wiederentdeckt. Der Journalist und Historiker fand es zufällig im dritten Untergeschoss des Schweizerischen Bundesarchivs.
Inzwischen hat Urs Hafner ein Buch geschrieben über Melchior Dönni. Es handelt unter anderem davon, wie der «Flacherdler» um 1900 zu seinen Überzeugungen kam – in einer Zeit, als die Wissenschaft längst bewiesen hatte, dass die Erde eine Kugel ist.
Der Käser und die flache Erde
Melchior Dönni wurde 1842 in der Stadt Luzern geboren. Hier führte er eine rentable Käserei mit zugehörigem Café. Aus zwei Ehen hatte er acht Kinder. 1899 veröffentlichte er eine erste Broschüre zu seiner Theorie der flachen Erde. Weitere folgten, dazu das Patent auf das Erdrelief.
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Bild 1 von 6. Melchior Dönni mit seiner zweiten Frau Maria Dönni-Schriber. Die erste Ehefrau des Käsers war an Kindbettfieber gestorben. Bildquelle: zvg/Privatbesitz.
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Bild 2 von 6. Die Familie Dönni-Schriber um 1900. Mit seiner ersten Frau hatte Melchior Dönni eine Tochter, aus der zweiten Ehe gingen sieben Kinder hervor. Drei Kinder fehlen auf dem Foto. Bildquelle: zvg/Privatbesitz.
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Bild 3 von 6. Um 1880 führt Melchior Dönni den «Nidlepalast», eine Molkerei mit zugehörigen Café. Damit beginnt sein beruflicher Aufstieg zum erfolgreichen Geschäftsmann. Bildquelle: zvg/Stadtarchiv Luzern.
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Bild 4 von 6. Der Gletschergarten um 1875. Melchior Dönni wohnt in der Nähe der Tourismus-Attraktion und findet in den ausgestellten Relief Anregungen für seine Theorie. Bildquelle: zvg/Gletschergarten Luzern.
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Bild 5 von 6. Beim Amt für geistiges Eigentum in Bern beantragte Melchior Dönni 1902 ein Patent auf sein Erdrelief. Bildquelle: zvg/Schweizerisches Bundesarchiv Bern.
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Bild 6 von 6. Ausgehend vom Erdrelief erstellte Melchior Dönni später eine Weltzeituhr. Hier fehlen der Zeiger, der stellvertretend für die Sonne während 24 Stunden einmal über die flache Welt kreist. Bildquelle: zvg/Privatbesitz.
Urs Hafner geht davon aus, dass Melchior Dönni mit Gleichgesinnten in Kontakt stand. Sie alle dürften sich mit Samuel Rowbotham befasst haben. Der britische Erfinder publizierte 1865 ein Buch. Darin erklärt er ausgehend von der Bibel, dass die Erde eine Scheibe sei, mit dem Nordpol im Mittelpunkt.
Theoretisch sieht man vom Pilatus aus bis nach Amerika.
Während 30 Jahren hat Melchior Dönni Material zu seiner Theorie gesammelt und studiert. In einer seiner Broschüren begründet er sie auf eigene Art und Weise. Theoretisch sei es nämlich möglich, von der Spitze des Pilatus aus bis nach Amerika zu sehen, «ohne dass die eingebildete Ründe der Erde dies verhindern könnte». Warum trotzdem niemand von der Schweiz aus über den Atlantik sieht? Weil die Sehkraft des Menschen zu schlecht sei.
Ein Verschwörungstheoretiker?
Melchior Dönni erinnert an die Anhänger der «Flat Earth»-Bewegung. Sie halten die Erde noch heute für eine Scheibe. Allerdings handelt es sich dabei um eine Verschwörungstheorie. «Flat Earther» gehen davon aus, dass eine geheime Elite das Wissen um die flache Erde bewusst unterdrücken will.
Er glaubte, er sei der Wissenschaft voraus.
Dieses Gefühl habe Melchior Dönni nicht gehabt, sagt Historiker Urs Hafner. Zwar sei die Theorie des Luzerner Käsers radikal. Trotzdem sieht er in ihm keinen Verschwörungstheoretiker. «Melchior Dönni ging davon aus, dass er seiner Zeit voraus ist und die Forschung irgendwann merkt, dass die Welt eine Scheibe ist.»
Reaktionen auf das Wirken von Melchior Dönni als «Flacherdler» hat Urs Hafner keine gefunden. Es ist anzunehmen, dass er teilweise belächelt wurde. Trotzdem schien er an seiner Idee festzuhalten. Vor seinem Tod 1916 verfasste er ein Testament. Darin vermachte er das Erdrelief seinen Söhnen. Er ging noch immer davon aus, dass es sich gegen den Globus durchsetzen werde.