Es waren andere Zeiten, damals vor 850 Jahren. Schloss Lenzburg thronte zwar bereits auf dem Schlosshügel, war aber noch kleiner, weniger imposant als heute. Als Anfang 1173 mit dem Tod von Graf Ulrich IV das Adelsgeschlecht der Lenzburger ausstarb, ging es darum, was mit dem Erbe geschieht. Der Graf besass Herrschaftsrechte, Ländereien oder Zugänge zu Alpenpässen. Das Interesse daran war gross.
Sein Erbe wurde von Kaiser Friedrich I. beansprucht. Er wurde auch Barbarossa genannt, italienisch für Rotbart, der damals mächtigste Herrscher Mitteleuropas. Er war von 1155 bis 1190 Kaiser des römisch-deutschen Reichs und stammte aus dem adligen Geschlecht der Staufer. Sein Besuch auf Schloss Lenzburg verhalf später den Habsburgern dazu, die mächtigste Familie der Deutschschweiz zu werden.
Die Lenzburger waren eine von drei wichtigen Adelsfamilien in der Deutschschweiz. «Die Zähringer und die Kyburger waren die bekanntesten, dann die Lenzburger», sagt Historiker Peter Niederhäuser. Er befasst sich mit Mittelaltergeschichte und setzt sich auch für die Geschichtsvermittlung ein.
Es gab wohl Festlichkeiten, Musik, Tanz, Ritterturnier. Belege aber fehlen.
Grafen wie Ulrich von Lenzburg waren für Ruhe und Ordnung zuständig. Sie hatten die Gerichtshoheit, stellten Klöster unter Schutz und verwalteten die Alpenpässe. Und: Graf Ulrich war ein Gefolgsmann von Barbarossa.
Promis auf der Lenzburg
Als Ulrich starb, als letzter Lenzburger Graf, trafen sich sechs Wochen danach die Adligen und Fürsten auf Schloss Lenzburg. Ein «Who is who» der 1170er-Jahre. Es gab wohl Festlichkeiten, Musik, Tanz, Ritterturnier, nur ist das nirgends schriftlich festgehalten.
Ein Teil der Promis, darunter der Bischof von Basel, haben Barbarossa auf dem Ritt durch die Region begleitet. Begleiter hätten meist gehofft, dass sie bei einer Erbschaft auch etwas abbekommen, sagt der Historiker weiter.
Wellness in Baden, erben in Lenzburg?
Kaiser, Gefolge samt Pferden auf dem Schloss unterzubringen und kulinarisch zu versorgen, sei damals ein Grossereignis gewesen, sagt Mittelalterkenner Peter Niederhäuser. Er geht davon aus, dass Barbarossa im Schloss übernachtet hat. Lenzburg war noch sehr ländlich – Bauernhäuser keine kaiserliche Unterkunft. «Allenfalls war er vorher noch in Baden und hat in der Bäderstadt etwas Wellness genossen – das wissen wir nicht.»
Wir wissen vom Grossereignis auf Schloss Lenzburg nur durch einen Zufall.
Aber Barbarossas Aufenthalt in Lenzburg ist belegt. Es gibt einen Schutzbrief vom 20. Februar 1173, der auf dem «castreum Lenceburg», Schloss Lenzburg, ausgestellt wurde. «Wir wissen vom Grossereignis nur durch einen Zufall. Barbarossa stellte der Propstei Interlaken einen Schutzbrief aus.» Es sei gleichzeitig der erste schriftliche Beweis, dass hier auf dem Hügel eine Burg stand.
Barbarossa habe wohl das Erbe des Grafen beansprucht, weil ihm der Zugang zu den Alpenpässen wichtig war. Immer wieder zog er gegen Italien in den Krieg. Und: «Er wollte seine Konkurrenten, die Zähringer, nicht allzu mächtig werden lassen», sagt Historiker Peter Niederhäuser.
Barbarossa habe mit der Übernahme des Erbes den Siegeszug der Adelsfamilie Zähringer blockiert. Diese konnten ihre Herrschaft nicht wie geplant bis zum Bodensee ausbreiten. Nur so konnten sich später die Habsburger etablieren. Ab 1264 waren sie die führende Familie in der Deutschschweiz.
Das Treffen auf der Lenzburg war also weit mehr als ein Promi-Event. Hier wurde die Macht über einen grossen Teil der Schweiz neu verteilt, vor 850 Jahren.