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Katholischer Widerstand «Wir sind wütend!»

Nach dem Missbrauchsskandal in der römisch-katholischen Kirche formiert sich Widerstand. Doch was bringt der Aufstand der Gläubigen? Längst glauben viele Kirchenmitglieder nicht mehr daran, dass sich in der Institution etwas verändern lässt und treten aus.

«Ich habe mir ernsthaft überlegt, aus der Kirche auszutreten», sagt Matthias Wenk, katholischer Stadt-Seelsorger in St. Gallen. Er liebt seinen Job, doch die letzten Wochen seien hart gewesen. Er habe mit sich und dem System Kirche gerungen, erzählt er in der «Rundschau».

Grund sind die Resultate der von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie der Universität Zürich über Missbrauch in der katholischen Kirche. Besonders wütend macht Matthias Wenk, dass kirchliche Verantwortungsträger zahlreiche Fälle verschwiegen, vertuscht oder bagatellisiert haben. Er frage sich seither: «Kannst du für diese Institution noch arbeiten?»

Umgehängtes Kreuz von Bischof Markus Büchel.
Legende: Die römisch-katholische Kirche ist in der Krise. Viele Gläubige zweifeln an der Institution. Keystone/Archiv/ENNIO LEANZA

Doch wer nun austrete, der könne nichts mehr verändern. Deshalb bleibt er. Seine Frau hingegen ringt immer noch mit einer Antwort. Sie wolle ihren Protest gegen das System der Kirche zeigen. Wie sonst, wenn nicht mit einem Austritt?

Die Gespräche mit ihrem Mann zeigten ihr aber auch, dass die Menschen an der Basis für Veränderungen kämpfen. Den konstruktiven Protest möchte sie unterstützen: «Das ist der Grund, der mich daran hindert, wirklich einen Austritt zu vollziehen.»

Es sei falsch, jetzt auszutreten, predigt der katholische Pfarrer Josip Knezevic in seinem Gottesdienst. Damit schwäche man nicht den kirchlichen Machtapparat, sondern seine Gemeinde. Er ist überzeugt, dass etwas geschieht, doch es brauche Geduld: «Es geht nicht so schnell, aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.»

Luzerner Kirchgemeinden stoppen Zahlung an Bistum

Die Kirchgemeinden in der Region Willisau überweisen kein Geld mehr an ihr Bistum. Es geht zwar nur um ein Prozent der Kirchensteuer, die sie zurückbehalten, doch knapp 50'000 Franken liegen nun auf einem Sperrkonto. Nicht viel Geld, weiss auch die Präsidentin der katholischen Kirchgemeinde Willisau, Evelyne Huber-Affentranger. «Es ist der einzige Hebel, den wir haben.»

Die Kirchgemeinden wollen ein Zeichen setzen, ihren Mitgliedern zeigen, dass sie nicht einverstanden sind. «Dieser Ungehorsam fühlt sich nicht gut an, aber wir haben einfach keinen anderen Schritt mehr gesehen und wir haben den Druck aus der Bevölkerung gespürt», sagt Huber-Affentranger.

Mit Austrittswelle konfrontiert

Die vielen Austritte der letzten Wochen hätten die Kirchgemeinde zum Handeln motiviert. Normalerweise seien es ein bis zwei Austritte pro Woche, in den letzten 14 Tagen waren es über dreissig. Das Bistums-Geld wollen sie zurückhalten, bis es eine unabhängige Meldestelle gibt sowie ein Verbot zur Aktenvernichtung. Langfristig sollen sich die Bischöfe für die Abschaffung des Pflichtzölibats und für die Gleichstellung von Mann und Frau einsetzten.

St. Gallens Basis stellt konkrete Forderungen

Box aufklappen Box zuklappen

Die Bewegung «Reformen jetzt!» will zwei Reformvorstösse bei der Leitung des Bistums St. Gallen einreichen. An einer Medienkonferenz verlangte sie eine stärkere Beteiligung der Basis vor einer Bischofswahl sowie mehr Gleichberechtigung zwischen Priestern und nicht geweihten Theologinnen und Theologen. 

Bei zukünftigen Bischofswahlen müssten die Katholikinnen und Katholiken im Bistum St. Gallen umfassender als bisher über die Kandidaten sowie über das Prozedere der Wahl informiert werden, teilte die Bewegung mit. Konkret sollen etwa alle Bischofskandidaten auf einer Webseite vorgestellt und Podiumsrunden organisiert werden. 

Hintergrund der Forderung sei, dass der St. Galler Bischof Markus Büchel im Sommer 2024 gegenüber dem Papst seine Demission einreichen werde. «Uns geht es darum, die Personalpolitik bis auf die höchste Ebene kritisch zu begleiten», erklärte Ann-Katrin Gässlein von der Steuerungsgruppe der Reformbewegung. 

Die zweite Forderung geht direkt an Bischof Markus Büchel und verlangt, dass auch nicht-geweihte Theologinnen und Theologen Trauungen durchführen können. Bis anhin sei dies für Nicht-Geweihte nur in Einzelfällen und mit einer Sonderbewilligung des Bischofs möglich. Die bestehenden Regelungen zementierten das Gefälle zwischen Priestern und anderen Theologen.  

Die Landeskirche als übergeordnete Stelle erklärte, dass die Kirchgemeinden nicht eigenständig über das Bistumsgeld verfügen könnten. «Uns ist bewusst, dass wir etwas machen, was nicht rechtens ist, aber es ist wirklich das einzige Druckmittel, das wir haben», sagt Evelyne Huber-Affentranger. Ob dieser sanfte Druck tatsächlich etwas bewirken kann, wird sich zeigen. Bis jetzt haben nur wenige Gemeinden angekündigt, die Bistumszahlungen ebenfalls zu stoppen.

SRF-Rundschau, 4.10.2023, 20:05 Uhr

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