Die Schweiz hat laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Recht eines Kindes auf Familienleben verletzt.
Ein Urteil vom Dienstag begründet dies damit, dass es nicht beiden gleichgeschlechtlichen Elternteilen möglich war, sich als Eltern im Personenstandsregister einzutragen.
Das Kind wurde von einer Leihmutter ausgetragen.
Gezeugt wurde das Kind 2011 durch eine Eizellenspende und das Sperma von einem der beiden Männer. Ausgetragen wurde das Kind von einer Frau in den USA, die nicht identisch ist mit der Eizellenspenderin. Die beiden Männer leben in der Schweiz in einer eingetragenen Partnerschaft.
Nur biologischer Vater im Register eingetragen
Einerseits hält der EGMR in seinem Urteil fest, dass es zwar keine Konventionsverletzung gegenüber den beiden Männern gegeben hat, weil die Leihmutterschaft in der Schweiz verboten ist – weshalb nur der biologische Vater im Schweizer Personenstandsregister eingetragen wurde.
Einschätzung von Bundesgerichtskorrespondentin Nicole Marti
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Leihmutterschaft ist in der Schweiz verboten. Die Schweizer Gerichte akzeptieren jeweils nur den Samenspender als rechtlichen Vater. Ein zweiter Vater, bei einem gleichgeschlechtlichen Paar, oder eine Mutter, die das Kind nicht geboren hat, bei einem verschiedengeschlechtlichen Paar, muss das Kind immer zuerst adoptieren. Erst danach gelten sie rechtlich ebenfalls als Elternteil.
2011, als der Junge aus diesem Gerichtsfall zur Welt kam, hatten gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz aber noch keine Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren. Erst ab 2018, mit der Einführung der Stiefkindadoption, konnten eingetragene Partnerinnen und Partner immerhin das leibliche Kind ihres Partners oder ihrer Partnerin adoptieren.
Die Situation heute ist mit derjenigen von 2011 also nicht mehr vergleichbar. Seit 2018 existiert die Möglichkeit der Adoption durch den zweiten Vater oder die Mutter. Das Urteil des EGMR ist daher ein klares Zeichen, dass die Regelung in der Vergangenheit nicht rechtens war. Auswirkungen auf aktuelle Fälle hat dies allerdings nicht mehr.
Andererseits verurteilt der EGMR in Bezug auf das Kind hingegen, dass es in diesem Fall keine Möglichkeit gab, zwei rechtliche Elternteile einzutragen.
Zu jenem Zeitpunkt war es gleichgeschlechtlichen Paaren mit eingetragener Partnerschaft nicht möglich, das Kind des Partners zu adoptieren. Dies wurde erstmals durch die Stiefkindadoption im Jahr 2018 und dann auch vollumfänglich durch die sogenannte «Ehe für alle» per 1. Juli 2022 möglich.
Aus diesem Grund stellte der Gerichtshof fest, dass die Antragsteller fast sieben Jahre und acht Monate lang keine Möglichkeit gehabt hatten, die endgültige Anerkennung der Eltern-Kind-Beziehung zu erreichen.
Dies sei ein unverhältnismässiger Eingriff in das Recht des Kindes auf Achtung seines Privatlebens nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Mit sechs zu einer Stimme der Richterinnen und Richter kam es zu einer klaren Entscheidung.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
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Der EGMR wurde 1959 in Strassburg von den Mitgliedstaaten des Europarats errichtet, um die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention sicherzustellen. Diese wurde 1950 unterzeichnet. Der EGMR urteilt über Beschwerden einzelner Personen sowie Personengruppen und Staaten, die sich auf Verletzungen der in der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten Rechte beziehen. Seit 1998 ist der EGMR ein ständig tagender Gerichtshof. Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden.
Die vom Gerichtshof gefällten Urteile sind für die betroffenen Staaten bindend und haben Regierungen dazu veranlasst ihre Gesetze und ihre Verwaltungspraxis in vielen Bereichen zu ändern. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs macht die Konvention so zu einem lebendigen Instrument, um neuen Herausforderungen zu begegnen sowie Rechtstaatlichkeit und Demokratie in Europa zu festigen.
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