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Konzept gegen Lehrabbrüche Viel weniger Lehrabbrüche dank stabiler Betreuung

Die Sonderschule Tipiti hat es sich zum Konzept gemacht, Jugendliche auch während der Berufslehre zu begleiten. Dafür wurde die Schule nun ausgezeichnet.

Auf einer mannshohen Karte im Gang der Sonderschule Tipiti Wil prangen bunte Logos: Kinderspital Ostschweiz, Bühler Uzwil, Stadler Rail, ein Gastrobetrieb. Sie markieren die Lehrbetriebe der ehemaligen Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler. Ja, die Berufswahl sei wichtig, sagt Schulleiter Stephan Herzer, aber: «Eine Lehrstelle zu finden ist relativ einfach im Verhältnis dazu, sie behalten. Man findet relativ schnell eine Lehrstelle, aber man behält sie oft nicht.»

Denn jeder habe einmal einen Hänger während der Lehre, sagt Stephan Herzer. Für die Sonderschüler- und Schülerinnen der Tipiti Wil kommen noch weitere Probleme hinzu: etwa psychische Erkrankungen, Sucht, soziale Störungen oder ein Gewaltproblem. In einer Krise stehen sie oft alleine da, ohne Netzwerk aus Familie und Freunden. «Für diese jungen Menschen sind wir ein Beziehungsnetzwerk. Wir versuchen, während der drei Jahre Oberstufe diese Beziehung aufzubauen, damit sie hält, wenn es sie braucht.»

«Wir lassen sie nicht alleine schwimmen»

Wichtigster Faktor in diesem Konzept ist eine Sozialpädagogin, die mit den Jugendlichen während der Lehre den Kontakt hält. Sie berät und hilft und spricht auch mit den Lehrbetrieben und Familien. «Ihr Auftrag ist sehr facettenreich. Es geht etwa um Mutterschaft in der Lehre oder um das, was das Leben sonst so bringt. Wir lassen die jungen Menschen nicht alleine schwimmen, sondern wir sind da, wenn sie es brauchen.»

Eine Gruppe von Leuten mit einer Auszeichnung
Legende: Von links: Stephan Herzer, Schulleiter Oberstufe Tipiti Wil; Ruth Sprecher-Siegenthaler, Präsidentin Fachkommission Berufliche Orientierung LCH; eine weitere Preisempfängerin; Damaris Diethelm, Sozialpädagogin Tipiti Wil; Marcello Weber, Mitglied Fachkommission Berufliche Orientierung LCH. SRF/ZVG/Tipiti

Seit knapp 17 Jahren setzt die Sonderschule Tipiti Wil auf dieses Konzept. Nun hat sie dafür den Richard-Beglinger-Preis des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz erhalten. «Lehrpersonen, die eine solche Beziehung zu Jugendlichen aufbauen können, dass sie einen Boden bekommen und gestärkt ins Erwachsenenleben einsteigen können, haben einen sehr guten Job gemacht. Über den spricht man selten», sagt Jurymitglied Dagmar Voith.

Das Konzept, Jugendliche auch während der Lehre zu begleiten, das habe Tipiti zwar nicht erfunden. Es habe aber Vorbild-Charakter. «Was die Jury hier beeindruckt hat, ist die Kooperation zwischen den verschiedenen Partnern, die involviert sind, wenn Jugendliche in eine Lehre eintreten. Wenn andere sehen können, wie wertvoll es sein kann, wenn Kooperationen gut funktionieren.»

Hohe Abschlussquote

Den sozialen Wert solcher Angebote hätten auch andere Schulen erkannt. Scheitern tue es vielerorts am Geld, sagt Dagmar Voith. «Es wäre eine Superwirkung, wenn Kantone das hören würden. Es braucht diese Angebote vielleicht nicht flächendeckend, aber dass sie dort möglich gemacht werden, wo sie gebraucht werden.»

Der Erfolg der Sonderschule Tipiti zeigt, dass es ein Bedürfnis nach solchen Angeboten gibt. Beziffern lässt sich das aber schwer. Rechnet man alle Arten von Abschlüssen zusammen, haben Lehrlinge aus der Schule Tipiti Wil eine Abschlussquote von 85 Prozent.

Nicht gezählt seien ganz individuelle Lösungen, sagt Schulleiter Stephan Herzer. «Einer ist Marktfahrer geworden. Und zwar ein erfolgreicher Marktfahrer. Man kennt ihn, wenn man der Olma über den Jahrmarkt geht.» So ein Sonderfall lässt sich kaum in einer Statistik erfassen. Ja, nicht einmal auf der grossen Landkarte an der Wand in der Schule Tipiti lässt sich so ein Sonderfall festhalten.

Rendez-vous vom 14.12.2023, 12:30 Uhr

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