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Koreanische Religion Lügen und Täuschen: Missioniert so eine Sekte in der Schweiz?

Eine koreanische Neuoffenbarungsreligion missioniert in der Schweiz mit Verschleierungen und Tarnorganisationen – wie gefährlich ist die sektenartige Organisation Shincheonji?

«Ich wurde mindestens fünfzehnmal angegangen.» Jaël Binggeli arbeitet für die Schweizerische Evangelische Allianz und zeigt sich auch auf digitalen Plattformen gläubig. Auf Instagram bekommt die 27-Jährige nun laufend Nachrichten, ob sie sich für ein Bibeltreffen verabreden wolle – der Absender: Unbekannt.

«Die Nachrichten waren sympathisch verfasst und gingen teils genau auf mein Instagram-Profil ein. Doch ich hatte keine Ahnung, wer dahintersteckt», sagt Binggeli.

Jaël Binggeli sitzt in einem Café in Bern.
Legende: Über ein Dutzend Nachrichten hat Jaël Binggeli bereits bekommen – die Absender kannte sie nicht. SRF

Das Muster ist jedoch deutlich erkennbar: Hinter den Nachrichten verbirgt sich die koreanische Neuoffenbarungsreligion Shincheonji (Sprich: Schinschonschi). Diese versucht auch in der Schweiz massiv über digitale Kanäle zu missionieren.

Anfänglich geht es bei den Avancen nur um einen lockeren Glaubens-Austausch. Es folgen jedoch schnell Angebote für Bibelkurse, in welchen die Shincheonji-Lehren allmählich beigebracht werden.

Wer ist der Gründer Man-Hee Lee?

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Man-Hee Lee gründete 1984 die Shincheonji-Kirche in Südkorea. Er ist der Führer der Organisation und bezeichnet sich selbst als der «versprochene Pastor der Endzeit». Nur er könne die Bibel richtig verstehen und seine Anhänger und Anhängerinnen in eine neue, friedliche Welt führen. Der Name Shinchoenji bedeutet dann auch «Neuer Himmel und neue Erde». Lee Man-Hee ist zudem Gründer weiterer Organisationen, die von Kritikern als Tarnorganisationen von Shincheonji angesehen werden (Quelle Relinfo).

Die Problematik: Das Glaubenssystem der Shincheonji ist stark dualistisch aufgebaut. Entweder ist man Mitglied und gehört so zu den Auserwählten oder man ist dem Untergang geweiht. Zudem wird die Organisation streng hierarchisch und autoritär von Gründer Man-Hee Lee geführt. Dieser Druck kapselt die neuen Mitglieder immer mehr vom eigenen Umfeld ab.

Ein Netz aus Lügen

Viktoria* (Name geändert), war während dreier Jahre Mitglied beim Schweizer Ableger der Kirche. Sie spricht von bis zu 300 Personen, die in der Schweiz involviert sind. Sie erzählt, dass die Organisation verschlossen sei und dass niemand etwas erfahren dürfe. «Ich musste meine Familie und Freunde anlügen – ich habe komplett ein Zweitleben geführt.»

Zwei Frauen stehen vor einem Haus.
Legende: In diesem Wohnblock in Zürich werden die Bibellektionen durchgeführt. Angst habe Viktoria (links) keine mehr, trotzdem hat sie vor dem Gebäude ein mulmiges Gefühl. SRF

Der Druck innerhalb von Shincheonji sei wahnsinnig gross gewesen. Immer wieder mussten die Mitglieder Prüfungen ablegen, um zu zeigen, dass sie die Bibelauslegung von Man-Hee Lee auch wirklich verstanden hatten.

Zudem werden die Mitglieder gedrängt, selbst zu missionieren. «Mein Gruppenführer hat mich immer wieder gefragt, wie viele Leute ich schon angesprochen hätte. Irgendwann habe ich tatsächlich jemanden überzeugt, Mitglied zu werden.» Bis heute habe Viktoria deshalb ein schlechtes Gewissen.

Mann in Stadion
Legende: In Südkorea lässt sich Gründer Man-Hee Lee von Zehntausenden Anhängern feiern. Screenshot Youtube / Shincheonji Church of Jesus

Neben der Arbeit gab es für Viktoria nur Aktivitäten mit Shincheonji-Mitgliedern. Es sei ein konstanter psychischer Stress gewesen: «Es ging so weit, dass mich während eines Spitalaufenthaltes Mitglieder überzeugen wollten, online an den Gottesdiensten teilzunehmen.» Da habe sie gemerkt, dass sie so nicht mehr weitermachen könne und stieg aus.

Friedensorganisationen als Tarnung

Um neue Mitglieder anzuwerben, bedient sich Shincheonji auch der Täuschung und Tarnung. Führer Man-Hee Lee hat dafür verschiedene Tarnorganisationen gegründet. Diese treten als Friedensstiftungen auf, organisieren Treffen und Events, alles mit dem offiziellen Ziel des Weltfriedens. Aussagen von Aussteigerinnen und Aussteigern sowie Experten und Expertinnen bestätigen aber, dass diese Organisationen zu Missionierungszwecken genutzt werden.

Tarnorganisationen von Shincheonji

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Um neue Mitglieder anzuwerben, bedient sich Shincheonji auch der Täuschung und Tarnung. Führer Man-Hee Lee hat dafür verschiedene Tarnorganisationen gegründet. Diese treten als Friedensstiftungen auf, organisieren Treffen und Events, alles mit dem offiziellen Ziel des Weltfriedens. Aussagen von Aussteigerinnen und Aussteigern sowie Experten und Expertinnen bestätigen aber, dass diese Organisationen zu Missionierungszwecken genutzt werden.

Als Tarnorganisationen fungieren unter anderem die sogenannten Friedensorganisationen HWPL (Heavenly Culture, World Peace, Restoration of Light) und deren Jugendorganisation IPYG (International peace youth group). Kritiker erklären, dass Events von diesen Organisationen hauptsächlich zu Missionierungszwecken und für PR-Arbeiten genutzt werden.

Die Sektenexpertin Asia Petrino von der Beratungsstelle «Relinfo» erzählt, dass viele Aussteigerinnen und Aussteiger berichten, sie seien an einem Event einer Tarnorganisation zum ersten Mal mit Shinchoenji in Kontakt gekommen. Auch Recherchen von SRF zeigen, dass die Personen in den Handelsregistern von Man-Hee Lees Friedensorganisationen deckungsgleich sind mit genannten Personen aus Shincheonji.

Weder Shincheonji noch die Friedensorganisationen haben bisher auf Anfragen von SRF reagiert.

Viktoria ist der Ausstieg mittlerweile geglückt, nachdem sie online Erfahrungsberichte von Personen in ähnlichen Positionen entdeckt und sich daraufhin von Shincheonji distanziert hatte. Wenn sie an ihre ehemaligen Mitstreiter denkt, verspürt sie keine Wut: «Ich habe viel mehr Mitleid mit ihnen – weil ich weiss, unter was für einem wahnsinnigen psychischen Druck sie stehen.»

«SRF Impact»

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Legende: SRF

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Alle Folgen «SRF Impact» sind auf Play SRF.

Sternstunde Philosophie, 21.01.2023, 10:05 Uhr

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