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Kosovo und die Schweiz «Dank meiner Serie ist ‹Gopferdeminomol› auch im Kosovo bekannt»

Schauspieler Ridvan Murati produziert eine Fernsehserie in der Schweiz und im Kosovo – dafür pendelt er zwischen den beiden Kulturen. Im Flug nach Pristina teilt er seine Gedanken zur kosovarischen Diaspora in der Schweiz.

Ridvan Murati kann Gegensätze. Mit Leichtigkeit wechselt er zwischen Deutsch und Kosovo-Albanisch, zwischen Ernst und Spass, zwischen eher unbekanntem Schauspieler in der Schweiz und seinem Leben als Serienstar im Kosovo. «Das ist super. Im Kosovo werde ich überall erkannt. In der Schweiz habe ich meine Privatsphäre. Dieses Privileg haben nur sehr wenige», sagt der 42-Jährige.

SRF begleitet Ridvan Murati auf einer seiner Reisen in den Kosovo – und spricht mit dem Schauspieler auch über das Verhältnis zwischen seinen verschiedenen Heimaten, der Schweiz und dem Kosovo. Vor rund 13 Jahren hatte sich Murati zusammen mit seiner Frau entschieden, in der Schweiz zu leben. Auch, um sich hier als Schauspieler weiterzuentwickeln. Unterdessen leben sie im Kanton Baselland und haben zwei Kinder im Primarschulalter.

Familienvater, Theaterschauspieler und Kulturveranstalter

In der Schweiz ist Murati Mitglied des Basler Theater-Netzwerks «Reactor». Ausserdem spielte er in verschiedenen Schweizer Produktionen mit, etwa im Spielfilm «Eden für jeden» oder in einem Tatort. Daneben hat er das kosovarische Kulturzentrum in Zürich zwei Jahre lang geleitet.

Rund 250'000 Menschen mit Wurzeln im Kosovo oder in Albanien leben in der Schweiz. Während viele eine Zerrissenheit spüren und sich nirgends «richtig» zugehörig fühlen, habe er sogar drei Zuhause, sagt Murati.

Die kosovarische und albanische Diaspora in der Schweiz

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Flaggen des Kosovo, von Albanien und der Schweiz wehen im Wind.
Legende: Knapp 10 Prozent der Kosovaren leben in der Schweiz. Keystone/Jean-Christophe Bott

Es wird geschätzt, dass rund 250'000 Menschen mit Wurzeln im Kosovo oder in Albanien in der Schweiz leben. Wenn es um Personen mit kosovarischer Staatsangehörigkeit geht, zählt das Bundesamt für Statistik 115'000 Menschen, die in der Schweiz leben.

Damit lebt ein beachtlicher Teil der Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz, je nach Schätzungen knapp 10 Prozent. Denn das kleine Land in Südosteuropa zählt nur knapp 2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.

Zuerst Gastarbeiter, dann Flüchtlinge

Die ersten Kosovarinnen und Kosovaren kamen in 1960er-Jahren als Gastarbeiter in die Schweiz, nachdem der Bundesrat mit Jugoslawien ein Saisonnier-Abkommen abgeschlossen hatte. Der jugoslawische Staatsgründer und Diktator Tito exportierte Arbeitskräfte aus dem wirtschaftlich schwachen Süden des Landes (darunter viele Albanerinnen und Albaner), die Schweizer Bauunternehmer brauchten Nachfolger für die Saisonniers aus Italien.

In den 1990er-Jahren flüchteten viele Wehrpflichtige aus dem Kosovo in die Schweiz, weil sie nicht auf der Seite des serbisch dominierten Restjugoslawiens in den Krieg ziehen wollten. Während des Krieges 1998/99 war die Schweiz schliesslich ein sicherer Hafen für Flüchtlinge.

Die meisten Nachkommen der Saisonniers und Flüchtlinge sind unterdessen in der Schweiz eingebürgert.

«Kosovo, die Schweiz – und unterdessen ist auch der Flughafen eine Art Heimat für mich, weil ich seit ein paar Jahren so oft fliege», sagt der schweizerisch-kosovarische Doppelbürger Murati beim Anstehen für das Check-in für den Flug nach Pristina am Basler Flughafen Euroairport. Seit einigen Jahren «pendelt» er für seine Serie zwischen der Schweiz und dem Kosovo – bis zu 60-mal pro Jahr fliegt er hin und her.

Mit dieser Vielfliegerei sei er durchaus auch schon konfrontiert worden – von seiner Tochter. In der vierten Klasse hätten sie das Thema Klima behandelt. «Papa, kannst Du nicht mit dem Zug oder dem Auto reisen?», habe sie ihn dann gefragt. Eine befriedigende Antwort darauf habe er ihr nicht geben können. «Leider kann ich meinen Job ohne Fliegen nicht machen. Aber sie hat recht und es gefällt mir, dass meine 10-jährige Tochter mich schon so herausfordern kann.»

Mehr Flüge nach Pristina als nach London

Der Flug aus der Schweiz nach Kosovo gehört denn auch zu den häufigsten Reisezielen. Viele Menschen fliegen in den Kosovo, um Familie und Freunde zu besuchen oder auch aus geschäftlichen Gründen. Ab dem Basler Flughafen Euroairport belegt Pristina im Moment sogar den Spitzenplatz, noch vor grossen Städten wie etwa London oder Istanbul.

Entsprechend wichtig ist diese Verbindung auch für die Airlines. Thomas Haagensen, Europachef von Easyjet, nennt zwar keine Passagierzahlen, sagt aber: «Natürlich ist Pristina sehr wichtig für uns. Wir fliegen den Kosovo aus der Schweiz bis zu zweimal pro Tag an.»

«Die Leute pflegen die Beziehungen zu ihrer Familie und Freunden – und das während des ganzen Jahres», sagt Haagensen weiter. Andere Destinationen würden je nach Jahreszeit oder Ferientrends viel mehr schwanken.

Familienvater in der Schweiz – Serienstar im Kosovo

Ja, übrigens richtig gelesen vorhin. In der albanischen Welt kennen ihn alle. «Ricky», wie er sich selber auch nennt, wird auf der Strasse angesprochen, Passantinnen und Passanten wollen ein Selfie mit dem Serienstar schiessen.

«Ricky» ist der Star der Fernsehserie « Sha je be tu folen?! » – auf Deutsch: «Was sagst Du?!». Eine Komödie, auch über die verschiedenen albanischen Dialekte.

«Haide, haide» versteht die Schweiz – «Gopferdemi» der Kosovo

Sein Charakter spreche zum Beispiel einen Dialekt aus einer Bergregion: «Fast ein bisschen wie im Wallis», erzählt Murati auf dem Weg zum Gate. Unterdessen reihen sich die ersten Reisenden in die Warteschlange für den Flug nach Pristina ein.

Ridvan Murati und David Constantin posieren für ein Foto.
Legende: Ganz von ungefähr kommt der Wallis-Vergleich nicht: In der Schweiz sorgt die Serie «Tschugger» von Regisseur und Hauptdarsteller David Constantin alias Bax für Furore. zvg, Ridvan Murati

Beim Entwickeln seiner Figur für die Serie sei er dann auf die Idee gekommen, in dem speziellen Kosovo-Albanisch auch das Schweizer Fluchwort «Gopferdeminomol» einzubauen, erzählt er in der Warteschlange für das Flugzeug. «Dann ist es extrem bekannt geworden. Die Leute haben mir das mit einem Lachen auf der Strasse zugerufen!»

Flug als Symbol für Verbundenheit und Zerrissenheit

«Haide, Haide» – «los, los», bald geht der Flug von der Schweiz aus Richtung Pristina. Ein Flug, der für die Verbindung zweier Kulturen steht. Ein Flug, der aber auch die Zerrissenheit vieler Menschen symbolisiert. Gelegenheit, um mit Murati weiter über das Verhältnis zwischen der Schweiz und Kosovo zu reden.

Der Kosovo-Krieg 1998 bis 1999

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Ein zerstörter serbischer Panzer vor Ruinen.
Legende: Ein von der Nato zerstörter serbischer Panzer im Dorf Komoran, Provinz Kosovo, 9. Mai 2000. Keystone/Meinrad Schade
  • Der Kosovo-Krieg ist der letzte der vier Jugoslawien-Kriege von 1991 bis 1999.
  • Als Start des Kosovo-Kriegs gilt der 28. Februar 1998: Bei einem Einsatz der serbischen Sicherheitskräfte gegen die kosovo-albanische Befreiungsarmee UÇK werden je nach Quellen rund zwei Dutzend Albaner und vier serbische Polizisten getötet. In den folgenden Monaten eskalierte die Situation zusehends.
  • Nachdem internationale Vermittlungen gescheitert waren, begannen Nato-Streitkräfte am 24. März 1999 mit Luftanschlägen auf serbische Ziele. Der Einsatz hatte kein UN-Mandat und ist bis heute völkerrechtlich umstritten. Am 10. Juni 1999 lenkte Slobodan Miloševic ein und die serbischen Truppen zogen sich aus dem Kosovo zurück. 
  • Wie viele Menschen dem Konflikt zum Opfer fielen, ist umstritten. Schätzungen gehen von 12'000 bis 15'000 Toten aus.

Dass sich einige Menschen aus dem Kosovo auch schwertaten mit der Integration, habe mit dem Kosovo-Krieg zu tun, glaubt Murati. «Sie sind geflüchtet, wollten sich in Sicherheit bringen – haben aber immer gedacht, sie gehen wieder zurück. Darum sind sie nie mit beiden Füssen angekommen.»

Für ihn sei das ganz anders gewesen: Er habe sich zusammen mit seiner Frau entschieden, in der Schweiz zu leben und hier eine Familie zu gründen. «Cabin Crew, prepare for take off» – unterdessen hebt das Flugzeug vom Schweizer Boden ab.

Dennoch bemerke er im Alltag oft Mentalitätsunterschiede. In der Schweiz funktioniere immer alles einwandfrei, alles sei durchgeplant. Im Kosovo dagegen sei mehr Spontanität und gegenseitige Unterstützung gefragt. «Besonders in den Kriegsjahren wussten wir nicht, was morgen passiert, ob wir noch etwas zu essen haben. Wir mussten improvisieren. Als ich in die Schweiz gekommen bin, war das ein grosser Unterschied für mich», erzählt «Ricky».

«Diese Mischung aus beiden Ländern fühlt sich richtig gut an»

Vielleicht sei das auch der Grund, warum Menschen aus der Schweiz und dem Kosovo manchmal etwas aneinander vorbeileben, sagt Murati, während das Flugzeug die Wolkendecke durchstösst. «Wenn du mit einer Schweizerin oder einem Schweizer einen Kaffee trinken willst, musst du drei Monate vorher einen Termin vereinbaren. Mit jemandem aus dem Kosovo klappt das nie. Da ist die Frage, hast du jetzt Zeit für einen Kaffee, ja oder nein!?»

Komödie für Schweizer Publikum geplant

Diese kulturellen Unterschiede möchte Ridvan Murati in einem nächsten Projekt als Schauspieler anpacken. Es sei zwar noch nicht spruchreif, aber er will eine Komödie zum Thema produzieren, für ein Schweizer Publikum. Selber lebt er die Vorteile aus beiden Kulturen, wie er sagt: die Zuverlässigkeit und Freundlichkeit aus der Schweiz – die Spontanität und Gastfreundschaft aus dem Kosovo. «Diese Mischung fühlt sich richtig gut an.»

Unterdessen gleitet das Flugzeug hoch über Europa: Berge, Wälder, Dörfer – Grenzen sind aus dieser Höhe keine erkennbar. Und Ridvan Murati sagt, dass bei den manchmal hitzig geführten Diskussionen über Integration etwas Wichtiges untergehen würde. Nämlich, dass die Schweiz im Kosovo einen richtig guten Ruf geniesse.

Im Kosovo hat die Schweiz einen guten Ruf. Die Verbundenheit ist gross.
Autor: Ridvan Murati Schauspieler

Besonders bei grossen Fussballturnieren sei das ersichtlich: «Da ist alles voll mit Schweizer Flaggen, alles voll mit Trikots von Shaqiri oder Xhaka. Die Verbundenheit ist gross», erzählt Murati, während am Horizont Pristina auftaucht.

In der kosovarischen Hauptstadt ist der erste Termin für den Schauspieler Murati ein Auftritt in einer Talkshow. Das Interesse an ihm wird spätestens auf dem Weg durch die Innenstadt deutlich.

Zwei Männer posieren für ein Foto
Legende: In der Innenstadt von Pristina bittet ein Passant Ridvan Murati um ein Foto. SRF/Sedrik Eichkorn

Immer wieder sprechen ihn Leute an und bitten, ein Selfie mit «Ricky» schiessen zu dürfen. So, dass Murati beinahe zu spät im Fernsehstudio ankommt.

«Was Ridvan Murati macht, ist einzigartig»

Die Talkmasterin Blerona Zeqiri freut sich auf ihren Gast: «Was Ridvan Murati macht, ist einzigartig», sagt die Moderatorin der Sendung « 1 Kafe prej Shpisë » und ergänzt: «Es gibt auch andere Schauspielerinnen und Schauspieler, die aus dem Kosovo ins Ausland gegangen sind, dann aber dort geblieben sind. Er arbeitet aber an beiden Ländern an seinem Projekt. Dafür hat er viel Respekt verdient», sagt Zeqiri.

«Super», sei es gelaufen, bilanziert «Ricky» nach der Aufzeichnung der Show. Er habe gut erklären können, wie er sein kosovarisches Improvisationstalent und sein präzises Organisieren aus der Schweiz verbinden könne. Aber dennoch – etwas habe er vergessen zu erwähnen. «Oh! Gopferdeminomol! Das habe ich vergessen, zu erzählen», sagt Murati lachend.

Regionaljournal Basel, 13.07.2023, 17:30 Uhr

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