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Krieg in der Ukraine IKRK: «Können derzeit in Mariupol keine humanitäre Hilfe leisten»

Die Zivilbevölkerung in der Ukraine durchlebt seit Tagen einen Albtraum. Hilfsorganisationen versuchen zu helfen, wo Hilfe möglich ist, darunter auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Doch derzeit sind auch die IKRK-Mitarbeiter in der stark umkämpften Stadt Mariupol von der Versorgung abgeschnitten und nicht mehr in der Lage zu helfen, wie Martin Schüepp, IKRK-Regionaldirektor Europa und Zentralasien, erklärt.

Martin Schüepp

IKRK-Regionaldirektor Europa und Zentralasien

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Martin Schüepp arbeitet seit 2007 für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Er hatte verschiedene operative und leitende Positionen in komplexen Konfliktgebieten inne, insbesondere in der sudanesischen Region Darfur, im Süden und Südosten Afghanistans und im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Er koordinierte die Einsätze des IKRK in Westafrika, bevor er 2016 stellvertretender Regionaldirektor für Europa und Zentralasien und 2019 dessen Regionaldirektor wurde.

SRF News: Wie ist die Situation in Mariupol?

Martin Schüepp: Unsere Kollegen vom IKRK vor Ort berichten uns von einer wirklich dramatischen humanitären Lage. Die Sicherheitslage ist sehr prekär und unsere Kollegen wie auch die Zivilbevölkerung müssen sich zu ihrer Sicherheit für die meiste Zeit des Tages in Kellern verstecken. Wenn sie sich mal nach draussen wagen, um Lebensmittel oder Wasser zu suchen, stellen sie fest, dass die Vorräte so gut wie aufgebraucht sind. Wir sehen auch in den Krankenhäusern eine zunehmend prekäre Lage, weil mitunter der Nachschub an Medikamenten fehlt.

Derzeit herrschen tiefe Temperaturen. Wie steht es um die Infrastruktur?

Die Elektrizität ist zum grössten Teil ausgefallen, die Leute werden in den unbeheizten, kalten Kellern zunehmend krank.

Derzeit können wir auch keinen Nachschub mehr in die Stadt bringen.

Inwiefern ist denn Hilfe derzeit möglich?

Unsere Kollegen haben alles Menschenmögliche gemacht, um den Leuten zu helfen. Sie haben Essen und Wasser verteilt und unter grossen Risiken versucht zu helfen. Aber derzeit können wir auch keinen Nachschub mehr in die Stadt bringen. Deshalb sind auch unsere Kollegen von der Versorgung abgeschnitten und nicht mehr in der Lage, weitere humanitäre Hilfe zu leisten.

Was fordert das IKRK – was brauchen die Menschen jetzt?

Nach humanitärem Völkerrecht ist es klar, dass die Konfliktparteien dazu verpflichtet sind, die Zivilbevölkerung zu schützen. In der gegenwärtigen Lage ist es notwendig, dass sich die beiden Konfliktparteien einigen, wie die Zivilbevölkerung am besten geschützt werden kann. Das heisst, sie müssen sich einigen, dass die Leute, welche aus der Stadt fliehen wollen, einen sicheren Ausgang finden aus der Stadt – aber auch, dass Hilfsgüter sicher in die Stadt hinein gebracht werden können.

Wir können nur hoffen, dass die Zivilisten geschützt wurden und an einen sicheren Ort gelangen konnten.

Wie sieht es im Moment mit Fluchtmöglichkeiten aus?

Wir haben von Berichten gehört, wonach heute einige Hundert Personen versucht haben, die Stadt zu verlassen. Die Sicherheitslage vor Ort blieb heute extrem prekär, die Kampfhandlungen wurden nicht eingestellt. Unsere Kollegen waren deshalb auch nicht Teil dieses Konvois, der sich aus der Stadt begeben hat. Wir können nur hoffen, dass die Zivilisten geschützt wurden und an einen sicheren Ort gelangen konnten.

Das Gespräch führte Philipp Müller.

SRF 4 News, 14.03.2022, 05:30 Uhr ; 

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