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Krieg in der Ukraine Schweiz will ukrainische Flüchtlinge unbürokratisch aufnehmen

  • Mehr als eine halbe Million Menschen sollen schon aus der Ukraine geflohen sein, die meisten davon in Nachbarländer. Das schätzt das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge.
  • Auch die Schweiz will schnell und unbürokratisch helfen. Ein Notfallkonzept soll aktiviert werden, um Flüchtlinge aufzunehmen. Wie viele es sein werden, ist allerdings noch nicht klar.
  • Politisch herrscht seltene Einmütigkeit: Alle Parteien befürworten die rasche Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge.

Schnell und unbürokratisch helfen will der Bundesrat, wenn Flüchtlinge aus der Ukraine in die Schweiz wollen. Bereits bisher war es jedem Staatsbürger aus der Ukraine möglich, für drei Monate visafrei in die Schweiz einzureisen. Einzige Bedingung: ein biometrischer Pass.

Wir wollen hier grosszügig und unkompliziert sein.
Autor: Karin Keller-Sutter Justizministerin

Nun will Justizministerin Karin Keller-Sutter diese Hürde weiter senken. Kriegsflüchtlinge dürften auch ohne biometrischen Pass oder generell ohne Pass in die Schweiz einreisen, schliesslich seien die Menschen ja geflüchtet, so die Bundesrätin: «Wir wollen hier grosszügig und unkompliziert sein.» Dies, indem man diesen Flüchtenden unbefristeten Schutz anbiete, mit dem sogenannten Schutzstatus S, wie Keller-Sutter an der Medienkonferenz vom Montag betonte.

Der Status S ist bereits vor Jahren für solche Massenfluchtsituationen eingeführt, aber bisher noch nie angewendet worden. Bei der Eidgenössischen Migrationskommission EKM ist man mit dem Vorgehen des Bundesrats zufrieden, wie EKM-Geschäftsführerin Bettina Looser sagt: «Wir sind sehr erfreut, dass sich der Bundesrat in der jetzigen Situation für den Schutzstatus S ausspricht.»

Dramatische Szenen in Lemberg

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Flüchtlinge drängen sich am Bahnhof von Lemberg, 28. Februar.
Legende: Flüchtlinge drängen sich am Bahnhof von Lemberg, 28. Februar. Keystone

Mehr als eine halbe Million Menschen sollen seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflüchtet sein, schätzt das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge. Die meisten fliehen nach Polen. Viele kommen aus der Richtung von Lemberg – die Stadt liegt nur etwa 80 Kilometer von der polnischen Grenze weg.

Moritz Gathmann, Chefreporter beim deutschen Magazin Cicero, befindet sich am Bahnhof von Lemberg und berichtet von dramatischen Szenen. Es gebe viel zu wenige Züge für all diejenigen, die dort jeden Tag ankommen: «Auf den Bahnsteigen stehen hunderte Menschen. Wenn ein Zug einfährt, gibt es einen Kampf um die Plätze; in den Waggons stehen Soldaten, die ukrainische Männer zurückstossen, weil sie nicht mitfahren dürfen; Kinder werden durchgereicht, Mütter versuchen hinterher zu kommen. Es fühlt sich an, wie man es aus Berichten aus dem Ende des Zweiten Weltkriegs kennt.»

Täglich würden zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer mit Bussen, Autos und Zügen ankommen, viele von ihnen in sogenannten Evakuationszügen aus Städten, die umzingelt sind oder kurz vor der Eroberung durch russische Truppen stehen. Viele der wehrfähigen ukrainischen Männer seien aber vorab dort, um ihre Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen – und sich dann dem Widerstand anzuschliessen.

Auch das entsprechende Notfallkonzept soll greifen. Es sieht vor, dass innert kürzester Zeit von Bund und Kantonen 9000 Unterbringungsplätze für Flüchtlinge bereitgestellt werden. Nur: Würde das reichen oder anders gefragt, mit wie vielen ukrainischen Flüchtlingen rechnet denn die Schweiz? Das könne man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, heisst es beim Bund – und auch EKM-Präsidentin Looser winkt ab.

Seltene Einigkeit in der Politik

Die EKM habe bewusst keine Zahlen genannt. Im Moment sei es sinnvoll, wenn die Behörden die Lage gut beobachteten. Man müsse flexibel bei der Frage blieben, wie viele Leute mit dieser Kollektivaufnahme aufgenommen werden könnten, so Looser: «Im Moment muss man wirklich rollend planen.»

Voraussichtlich am Freitag wird der Gesamtbundesrat über die Pläne von Justizministerin Keller-Sutter entscheiden. Mit politischem Widerstand ist aber nicht zu rechen. In seltener Einigkeit befürworten alle Parteien die schnelle und unbürokratische Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen.

Heute Morgen, 01.03.2022, 6 Uhr

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