Die meisten Profi-Musikerinnen und Musiker können sehen, hören und haben zwei funktionierende Hände. Warum eigentlich stehen so wenig Menschen mit einer Behinderung auf der Bühne? Hapert es beim Musik-Studium? Ein Symposium in Bern ist der Frage nachgegangen, was es braucht, damit Menschen mit Beeinträchtigungen Musik studieren können. Denn Musik machen, das ist offensichtlich kein Problem.
Wegen Schwerhörigkeit vom Studium ausgeschlossen
Evelyn Glennie, eine Perkussionistin aus Schottland, erzählte an diesem Anlass, wie sie einst von der Royal Academy in London abgelehnt wurde – mit der Begründung, ein Profi-Orchester könne unmöglich mit einer hörbehinderten Musikerin zusammenspielen.
Ich spüre Musik im ganzen Körper.
Dabei wollte Evelyn Glennie ohnehin Solomusikerin werden. Ihre Hörbehinderung sei für sie kein Hindernis: «Man kann Musik im ganzen Körper spüren. Sei es über die Wangenknochen, die Kopfhaut, durch Fingerspitzen, im Brustkasten, in Beinen oder Füssen.»
Auch Alexander Wyssmann aus Bern ist Profimusiker geworden. Er ist Jazzpianist – obwohl er nichts sieht. «Es gibt Notenschrift für blinde Menschen. Aber das heisst, dass ich alles auswendig lernen muss, wenn ich mit zwei Händen spielen will», sagt Wyssmann. In der Quantität sei er dadurch begrenzt. «Ich kann nicht unendlich viel Neues lernen in kurzer Zeit. Obwohl ich jedes Mal wieder erstaunt bin, wozu mein Kopf fähig ist.»
An der HKB sind Menschen mit Beeinträchtigung willkommen
Die Hochschule der Künste Bern HKB hat das Symposium mitorganisiert. Wenn bei ihnen jemand mit einer Behinderung Musik studieren möchte, laute die Antwort: «Kommen Sie und wir versuchen es.» Das sagt Christoph Brunner, er ist Beauftragter für Chancengleichheit und Inklusion an der Hochschule der Künste Bern. «Wir sind offen für alle möglichen Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen.» Als erste Schweizer Hochschule trat die HKB dem Label «Kultur inklusiv» bei, als es vor 5 Jahren gegründet wurde.
Wir sind offen für alle möglichen Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen.
Viel Erfahrung habe man aber noch nicht. Denn aktuell fragen noch nicht viele Menschen mit einer Behinderung an, ob sie hier Musik studieren können, so Brunner.
Das liege wohl unter anderem daran, dass schon Kinder mit einer Beeinträchtigung in der Musikbildung weniger gefördert würden, sagt Nadine Schneider, Projektleiterin von «Tabula Musica», dem Zentrum für barrierefreies Musizieren in Bern. Sie fordert ein Umdenken. Es gebe eine zentrale Frage: «Wie können wir unsere Strukturen anpassen, damit diese Person ihre Fähigkeiten zeigen kann und auch gefördert wird?»
«Tabula Musica» und die HKB haben das Symposium gemeinsam organisiert, mit dem Wunsch, dass künftig mehr Menschen mit einer Behinderung ein Musikstudium in Angriff nehmen.
Das Spielen am Synthesizer beruhigt mich und lässt mich Sorgen vergessen.
Wie wichtig Musik für Menschen mit Beeinträchtigung sein kann, zeigt Lorena Dellenbach. Die 38-Jährige leidet unter Neurofibromatose Typ 2, eine seltene Tumorerkrankung. Durch die Tumore an den Hörorganen hört sie auf der rechten Seite gar nichts mehr und links noch zehn Prozent.
Bereits mit acht Jahre nahm sie Klavierstunden. In ihrer Jugend, als sie erkrankte und immer weniger hörte, verlor sie zwischenzeitlich das Interesse an der Musik. Danach hat sie die Musik wieder entdeckt und spielt nun im Orchester von «Tabula Musica». «Das Spielen am Synthesizer beruhigt mich und lässt mich Sorgen vergessen», so Dellenbach. Und mit anderen Menschen in einem Orchester zu spielen, erfülle sie mit Stolz.
Aber: Wie macht sie das eigentlich? Töne zu hören sei für sie viel einfacher als einem Gespräch zu folgen. «Töne kann ich gut erkennen, mit einem Menschen zu kommunizieren ist viel schwieriger.»