Von 2011 bis 2022 ist der Netto-Selbstversorgungsgrad der Schweiz um 11 Prozentpunkte auf 46 Prozent zurückgegangen. Stärker ist der Rückgang bei den pflanzlichen Nahrungsmitteln zu spüren, dort sank der Selbstversorgungsgrad von 48 auf 37 Prozent.
Der Schweizer Bauernverband, Bio Suisse und IP Suisse haben diese Woche an einer gemeinsamen Medienkonferenz darauf aufmerksam gemacht, dass die Anbauflächen und Erträge im Pflanzenbau geschrumpft seien. Sie fordern einen besseren Grenzschutz und Lösungen, um die Kulturen zu schützen. Der Selbstversorgungsgrad ist aber in der tierischen Produktion ebenfalls rückläufig, wenn auch weniger stark.
Die Frage, ob die Schweiz der Entwicklung entgegenwirken und den Selbstversorgungsgrad steigern soll, wird immer wieder diskutiert – gerade in Krisenzeiten. So forderte die SVP nach Ausbruch des Ukrainekriegs 2022 einen sogenannten «Plan Wahlen 2.0», der die Versorgungssicherheit der Schweiz sicherstellen soll. Konkret forderte sie etwa, dass auf Projekte verzichtet wird, die für eine ökologischere, aber weniger produktive Landwirtschaft sorgen. Insgesamt soll der Selbstversorgungsgrad «massiv erhöht» werden.
Auch dem Schweizer Bauernverband bereitet der sinkende Selbstversorgungsgrad Sorgen. «Wir verlieren jedes Jahr 1 Prozent Selbstversorgungsgrad», sagt Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands. «Unsere Ambition ist, dass wir 50 Prozent selber produzieren. Da müssen wir noch einen Zacken zulegen.» Es gehe um die Versorgungssicherheit, denn die internationalen Konflikte hätten gezeigt, dass die Lieferketten anfällig seien.
Die Forderung nach mehr Selbstversorgung kommt aber auch aus einer anderen politischen Richtung. So verlangt die Ernährungsinitiative vom «Verein saubereres Wasser für alle», die im vergangenen Herbst zustande kam, dass der Selbstversorgungsgrad in der Schweiz auf 70 Prozent erhöht wird. Die Ernährungsinitiative will dies aber nicht durch eine intensivere Landwirtschaft erreichen, wie es SVP und Bauernverband fordern. Sondern indem in der Schweiz deutlich mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel produziert werden.
Doch lohnt sich für die Schweiz ein hoher Selbstversorgungsgrad überhaupt? Michele Salvi, Vizedirektor beim liberalen Thinktank Avenir Suisse, sagt, nicht der Grad der Selbstversorgung sei entscheidend, sondern die Versorgungssicherheit. Und für die Versorgungssicherheit seien auch andere Faktoren entscheidend, etwa der Zugang zu internationalen Märkten, Vorräte und eine funktionierende Logistik. «Trotz Rückgang des Netto-Selbstversorgungsgrads blieb die Schweiz jederzeit in der Lage, ihre Bevölkerung ausreichend und zuverlässig mit Lebensmitteln zu versorgen – auch in Krisenzeiten wie der Covid-Pandemie», sagt Salvi.
Abhängigkeit trotz hoher Produktion
Ein hoher Selbstversorgungsgrad bedeute nicht, dass die Schweiz unabhängig sei, sagt Michele Salvi: «Denn die Schweizer Landwirtschaft ist stark auf Importe angewiesen – etwa von Diesel, Maschinen, Ersatzteilen oder auch Saisonarbeitskräften.»
So sei ein hoher Selbstversorgungsgrad keine Garantie für Versorgungssicherheit. Um diese zu garantieren, seien vielmehr eine gute Anbindung an den internationalen Handel wichtig, sowie Pflichtlager und eine gute Krisenplanung.