- Seit 2009 hat die Schweiz mehr als 20'000 Asylsuchende an andere europäische Staaten übergeben. Das ist in der Dublin-Verordnung so vorgesehen.
- Bisher hatten die Asylsuchenden keine Möglichkeit zur Mitsprache. Die Justiz ging davon aus, dass die Frage, welcher Staat ein Gesuch behandelt, eine rein technische Angelegenheit sei.
- Jetzt ändert sich das. Das Bundesverwaltungsgericht hat einen entsprechenden Entscheid gefällt.
Das Bundesverwaltungsgericht stärkt die Rechte von Asylsuchenden. Grund dafür ist ein Entscheid des Europäischen Gerichtshofs. Er urteilte kürzlich, dass mit der neuen, dritten Version der Dublin-Verordnung die Rechte für Flüchtlinge ausgebaut werden.
Eigentlich sind Entscheide des Europäischen Gerichtshofs für die Schweiz nicht bindend. Weil aber das Schweizer Parlament 2014 den neuen Dublin-Regeln zugestimmt hatte, gilt der neue Rechtsschutz auch in der Schweiz, so der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts.
Irakische Familie darf in der Schweiz bleiben
Im konkreten Fall ging es um eine irakische Familie, die Ende 2015 in die Schweiz geflohen war. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) war der Meinung, dass Deutschland für die Asylgesuche der Familie zuständig sei. Die Familie wollte aber in der Schweiz bleiben, weil hier bereits Verwandte lebten.
Das Staatssekretariat für Migration hatte die dreimonatige Frist für ein Übernahmegesuch der irakischen Familie knapp verpasst. Deutschland hatte das Übernahmegesuch der Schweizer Behörden trotzdem angenommen. Das SEM darf ihren Antrag nun nicht an Deutschland abtreten.
Der Caritas-Anwalt Urs Jehle hat für die Familie den Leitentscheid erstritten. Er sagt, das Leiturteil sei wichtig: «Es schafft Rechtssicherheit. Bisher war etwas unklar, auf welche Bestimmungen sich die Betroffenen berufen können. Jetzt steht fest, dass sie sich auf die ordentliche Einhaltung aller Bestimmungen berufen können.»
Rekurs nun auch bei formalen Aspekten möglich
Bei einem Nichteintretensentscheid auf ein Asylgesuch konnten die Betroffenen bisher jeweils nur die falsche Anwendung der direkt anwendbaren Bestimmungen vor dem Bundesverwaltungsgericht rügen. Darunter fällt etwa der Schutz der Grundrechte von Asylsuchenden, wie das Recht auf Familienleben.
Nun gilt dasselbe auch für nicht direkt anwendbare Bestimmungen, also etwa für die Nicht-Einhaltung der Frist für ein Übernahmegesuch. Diese formalen Aspekte sind zwar sehr technisch, aber rechtlich sind sie grundlegend und entscheidend für die Frage, ob sich Gerichte überhaupt mit einem Fall befassen.
Dieses Urteil schafft Rechtssicherheit.
Martin Reichlin, Sprecher des SEM, meint auf Anfrage, dieses Versäumnis sei ein Einzelfall, das SEM sei immer bemüht, speditiv zu arbeiten.
Wichtiger scheint ihm, dass sich am Ermessen nichts ändere: «Das SEM wird weiterhin alle Asylgesuche prüfen und entscheiden, ob die Schweiz selbst auf das Gesuch eintritt, oder einen anderen Dublin-Staat anfragt, das Verfahren zu übernehmen», so Reichlin.
In Zukunft haben die Betroffenen aber das Recht, diese Entscheidung vor Bundesverwaltungsgericht anzufechten.