Wenn Menschen ein schweres Verbrechen begehen, werden sie inhaftiert – zur Sicherheit der Gesellschaft. Doch: Inhaftierte haben das Recht auf Resozialisierung. Ein heikles Spannungsfeld zwischen rechtsstaatlichen Prinzipien und dem Ruf nach Sicherheit. Soll zum Beispiel ein Mörder Lockerungen im Strafvollzug erhalten?
Im Ostschweizer Strafvollzugskonkordat gibt es für solche Fälle eine Fachkommission, bestehend aus 16 Mitgliedern aus den Kantonen St. Gallen, Thurgau, Zürich, Schaffhausen, Graubünden und Appenzell Ausserrhoden. Sie vertreten drei Bereiche: Justiz, Psychiatrie und Strafverfolgung. Die Fachkommission beurteilt konkrete Öffnungsschritte entweder im Freiheits- oder im Massnahmenvollzug.
Es sind nur kapitale Verbrechen, die früher oder später auf dem Tisch der Fachkommission landen, wenn die Vollzugsbehörde unschlüssig ist. Straftaten, über die meist auch Medien breit berichten. Pro Jahr sind dies rund 80 Fälle, welche die Fachkommission betreffen.
«Das sind beispielsweise Mord, schwerste Gewaltverbrechen oder Delikte gegen die sexuelle Integrität. Nicht nur, aber auch gegen Kinder», sagt Peter Straub, leitender Staatsanwalt in St. Gallen und Präsident der Fachkommission.
Alle Akten für intensive Vorbereitung
Um einen Fall zu beurteilen, braucht es vier Mitglieder des Gremiums: den Präsidenten und je eine Person aus den drei Bereichen. «Das schafft einen Mehrwert», so Straub. «Wir schauen über den Tellerrand der jeweiligen Disziplin hinaus.»
Nach einer Diskussion gibt die Fachkommission über den konkreten Fall eine Empfehlung ab. Bei rund drei Vierteln der Fälle empfiehlt die Kommission eine Lockerung.
Die Empfehlung der Fachkommission hat ein hohes Gewicht.
Der Kommission werden sämtliche Strafverfahrensakten und die vollständigen Vollzugsakten vorgelegt. «Wir lesen uns ein, jedes Mitglied erhält Zugang zu diesen Dokumenten», erklärt Straub. Es sei eine intensive Vorbereitung: Unterlagen zur Strafuntersuchung, Polizeiberichte, Gutachten, Therapieberichte. Auch der Betroffene darf sich schriftlich äussern.
Eine Entscheidung über die konkrete Vollzugslockerung trifft die Fachkommission nicht, diese obliegt der Justizvollzugsbehörde. Aber: «Die Empfehlung der Fachkommission hat ein hohes Gewicht», sagt Straub.
Es werden sukzessiv kleine Schritte von Freiheitsgraden gewährt und überprüft, ob der Straftäter mit dieser zurückgewonnenen partiellen Freiheit verantwortungsvoll umgehen kann. Straub sagt: «Ich glaube, die Gesellschaft hat ein Interesse daran, dass Erfolge, die man in der Therapie hinzukriegen versucht, überprüft werden können. Dies gelingt nur mit den kleinen Öffnungsschritten.»
Könne ein Straftäter nicht mit dieser Verantwortung umgehen, werden die Freiheitsgrade wieder gestrichen. «Solche Bewährungsversagen sind für uns natürlich Indikatoren», sagt Straub. Das heisst: «Wenn wir die nächste Vorlage auf dem Tisch haben, wissen wir, dass es kein gradliniger Massnahmenverlauf war. Da müssen wir ein besonderes Augenmerk haben.»
Die Fachkommission sei sich der Verantwortung bewusst und habe die nötige Distanz, so Straub. Die Diskussionen über angemessene Lockerungen im Strafvollzug würden teils Stunden dauern – immer im Spannungsfeld zwischen rechtsstaatlichen Prinzipien und dem Ruf nach Sicherheit.