Blökend nähern sich die Schafe auf der Alp im Lötschental ihrem Besitzer Daniel Ritler. Der Biobauer hält insgesamt 140 Tiere – jener Rasse, die am häufigsten in der Schweiz anzutreffen ist: «Das ist das weisse Alpenschaf, mit Kreuzungen von Fleischerrassen.»
Ritler züchtet die Schafe für die Fleischproduktion, eine regionale Metzgerei stellt aus ihrem Fleisch Würste her. Die Wolle seiner Schafe findet ebenfalls Absatz. «Einerseits wird sie an einer öffentlichen Sammelstelle gesammelt . Diese fabriziert Bauisolation daraus. Andererseits arbeiten wir mit einer Karderei in Meiringen zusammen, die Kisseneinlagen aus der Wolle macht», erklärt er.
Dass die Wolle verwertet wird, ist nicht selbstverständlich. Ein Fünftel der Wolle von Schweizer Schafen wird verbrannt. Die Wolle, die weiterverwertet wird, erhält dafür Subventionen. Mit Direktzahlungen, Sömmerungsbeiträgen und Verkäsungszulagen kostet die Schafwirtschaft in der Schweiz jährlich 24 Millionen Franken.
Diese 24 Millionen Franken setzt Sara Wehrli von der Umweltschutzorganisation Pro Natura gerne ins Verhältnis mit den Kosten, die der Wolf verursacht. Jährlich gebe die öffentliche Hand rund drei Millionen aus für Herdenschutzmassnahmen, Überwachung und Entschädigung für gerissene Schafe, rechnet Wehrli vor und meint: «Die Klagen der Schafhalter gegenüber dem Wolf und ihre Forderungen nach seiner Ausrottung stehen in keinem Verhältnis zu den Schäden, die er anrichtet.»
Ferner kritisiert Wehrli, dass Schafe an manchen Orten die Artenvielfalt verringerten, weil sie selektiv fressen, also besonders gerne Blumen und Kräuter vertilgen. Schmetterlinge etwa seien auf Schafweiden selten anzutreffen. Jedenfalls dann, wenn keine kluge Weideführung erfolge.
Das sei oft der Fall, denn auf der Hälfte der Schafalpen weideten die Tiere unbeaufsichtigt, kritisiert die Umweltschützerin: «Wenn Schafe unbeaufsichtigt in den Alpen gesömmert werden, dann gehen sie auch in Gebiete rein, in denen sie nicht sein dürften.»
Zum Beispiel sei es gemäss der Direktzahlungsverordnung nicht vorgesehen oder sogar verboten, dass die Schafe auf Moränen, in gewisse Hochgebirgsvegetationen oder in die Wälder hineingehen: «Weil sie dort mehr Schaden als Nutzen anrichten.»
Wo die Schafe grasen, das ist die Frage
Für die Artenvielfalt förderlich hingegen seien beaufsichtigte Schafherden in Gebieten der Alpensüdseite mit wenig produktiven Böden. Wie etwa im Wallis, wo vierzig Prozent der national bedeutenden Trockenweiden liegen, die eine besonders hohe Biodiversität aufweisen.
Biobauer Ritler steht auf einer solchen Weide an einem Lötschentaler Berghang. Er schaut auf die blütenreiche Wiese und sagt: «Es sind auch viele Steinhaufen hier, die die Menschen früher zusammengetragen haben, nachdem sie Lawinen hinuntergebracht haben. Da verstecken sich viele Eidechsen und andere Tiere.»
Dieses Gebiet bewirtschaftet Ritler extensiv, das heisst: Er treibt die Schafe im Frühling und im Herbst einmal auf diese Weiden, im Sommer sind sie auf der Alp. Ausserdem führt er keinen oder nur wenig Mist auf diese Weiden.
Vor einigen Jahren streifte ein Wolf durch das Lötschental und riss neun Schafe des Bauern. Heute begleitet ein Schafhirt die Herde. Das alles funktioniere, sagt Ritler, aber es koste auch viel Geld. Es habe zehn Jahre gedauert, bis er die Bewirtschaftung umgestellt hatte.
Der Lötschentaler Biobauer ist ein vorbildlicher Schafhalter. Das bestätigt auch Moritz Schweri, Direktor des Landwirtschaftszentrums Oberwallis in Visp. Nicht alle angehenden Schafhalter seien so offen für Landschafts- und Naturschutz: «Wir versuchen den Leuten näher zu bringen, warum ein Landwirt, ein Schafhirt auch für die Ökologie zuständig sein soll. Das ist ein spannendes Thema, braucht aber zum Teil auch etwas Überzeugungsarbeit.»
Die Landwirtschaft sei auf Produktion getrimmt worden, die nachhaltige Bewirtschaftung, die früher noch grossgeschrieben worden sei, sei dadurch in den Hintergrund gerückt. Das Umdenken brauche noch etwas Zeit, sagt Schweri. Das Image der Schafhalter sei aber zu Unrecht schlecht, sagt er: «Es gibt wie immer sogenannte schwarze Schafe. Aber das ist die Ausnahme.»
Die meisten würden ihre Schafe zwar nicht immer beaufsichtigt lassen, sie wüssten aber, wo sie sind, sagt Schweri: «Das Gerücht, dass man die ganzen Schafe im Sommer irgendwo hochjagt und im Herbst schauen geht, wo sie sind, stimmt nicht.»
Wenn er in den Bergen unterwegs sei, sehe er zwischendurch Zeichen der Überbeweidung: Erosion, abgefressene, eintönige Wiesen. Häufiger sei aber das Gegenteil das Problem, nämlich: «Flächen, die verganden, führen zu einer Verarmung der Artenvielfalt. Das wollen wir nicht. Deshalb ist die korrekte Bewirtschaftung die beste Lösung.»
Schafhaltung um die artenreichen Bergweiden zu bewahren, sei also weiterhin sinnvoll. Die Schafe müssten aber mit diesem Ziel geführt werden, und auch so, dass sie vor dem Wolfsrissen geschützt seien.