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Mediennutzung in der Schweiz Jeder Dritte leidet unter Newsarmut

Immer mehr Menschen informieren sich nur noch über Twitter, Instagram oder Facebook. Mit schwerwiegenden Folgen für die direkte Demokratie.

Der Befund ist alarmierend. Mehr als ein Drittel der Schweizer Bevölkerung leidet unter Newsarmut. Konkret sind 36 Prozent der Menschen in der Schweiz mit Informationen über das politische und wirtschaftliche Geschehen unterversorgt.

Zwar bewegt sich ein grosser Teil von ihnen täglich auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder Twitter. Diese Netzwerke werden aber in erster Linie für die Unterhaltung genutzt. Die Suche nach Informationen finde in den sozialen Medien nur am Rande statt, sagt Linards Udris vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich. «Nachrichten haben viel mehr Konkurrenz im riesigen Unterhaltungsangebot.»

Das Jahrbuch «Qualität der Medien»

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Das Jahrbuch «Qualität der Medien» wird zum zehnten Mal publiziert. Es wird vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich verfasst. Finanziert wird es von der Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität und der Universität Zürich.

Für die aktuelle Ausgabe wurden rund 2000 Internetnutzer in der Deutschschweiz und der Romandie befragt. Zudem flossen Umfragedaten aus einer alljährlich durchgeführten Mediennutzungsstudie des fög in Zusammenarbeit mit GfK Switzerland in die Analysen ein. Im Rahmen dieser Studie werden seit 2009 rund 3400 Onlineinterviews jeweils zum Jahresbeginn durchgeführt. (sda)

Herkunft einer News für viele unwichtig

Auf den Social-Media-Kanälen dominiert die Unterhaltung. Das ist aus Sicht der Forscher ein Problem. Ein zweites ist, dass auf Social Media die Herkunft einer Nachricht weniger wichtig ist. Die User wissen gar nicht mehr, woher sie eine Meldung haben. Da heisse es dann einfach, man habe diese oder jene News bei Facebook gesehen. Früher sei als Quelle der «Blick», der «Tages-Anzeiger» oder das Schweizer Fernsehen massgebend gewesen.

Die Bindung an eine Medien-Marke gehe somit verloren. Doch: «Die Markenbindung ist wichtig, weil damit Glaubwürdigkeit verbunden ist», sagt Udris. Auch seien dadurch immer weniger Personen bereit, diesen Medien-Marken über längere Zeit verlässlich zu folgen – und für die journalistischen Inhalte zu bezahlen.

Traditionelle Medien viel glaubwürdiger

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass die traditionellen Medienhäuser beim Publikum mit knapp 50 Prozent weiterhin eine recht hohe Glaubwürdigkeit geniessen. Im Gegensatz dazu schneiden die sozialen Netzwerke schlecht ab. Nur knapp 20 Prozent der Befragten gaben an, den sozialen Medien zu vertrauen.

Es ist also die paradoxe Situation entstanden, dass die Bürgerinnen und Bürger immer häufiger Kanäle nutzen, denen sie aber nur teilweise vertrauen.

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Wie kann so direkte Demokratie funktionieren?

Diese Entwicklungen dürften den Medienhäusern wenig Hoffnung für die Zukunft machen, denn unter den jungen Erwachsenen ist die Gruppe derer, die sich kaum mit Informationen versorgen, besonders gross. Medienforscher Udris glaubt auch nicht, dass sich das künftig ändert. Denn wer als junger Mensch bloss Social Media konsumiere, gewöhne sich daran und werde nicht als älterer Mensch automatisch mehr Interesse für klassische News zeigen.

Die mit Nachrichten Unterversorgten sind auch jene Gruppe, die am stärksten wächst. Das sind keine rosigen Aussichten für jene, die einen funktionierenden Journalismus für zentral für das Funktionieren der Demokratie halten.

Ein Vorteil für Populisten?

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«Das Problem ist, dass die 36 Prozent der Bevölkerung, die mit Nachrichten unterversorgt sind, sich nur über soziale Medien informieren und dort mit minderwertiger Information versorgt werden», sagt Kommunikationsprofessor und fög-Direktor Mark Eisenegger. Das habe Auswirkungen auf die direkte Demokratie in der Schweiz: Wer schlecht über Politik und Wirtschaft informiert sei, beteilige sich entweder gar nicht mehr an Abstimmungen und Wahlen, oder allenfalls noch bei populistischen Vorlagen. Auch misstrauten diese Leute den staatlichen Institutionen tendenziell stärker als andere. Damit seien sie auch eher empfänglich für einfache Rezepte populistischer Akteure, so Eisenegger.

Um gegen die Entwicklung anzugehen, schlägt das fög eine gemeinsame digitale Plattform der Schweizer Qualitätsmedien vor. Mit einer solchen digitalen Infrastruktur könnte Eisenegger zufolge die Abwanderung der Werbegelder zu Facebook und Google ein Stück weit verhindert werden. Ausserdem könne so die Hoheit über die Algorithmen – also die «geheimen» Regeln, was dem User alles angezeigt wird – zurückgewonnen werden. Wichtig sei: Es gehe ausschliesslich um die technische Infrastruktur einer solchen digitalen Plattform. Die publizistische Konkurrenz unter den verschiedenen Medien müsse bestehen bleiben, um die Medienvielfalt zu erhalten.

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