Nirgendwo ist der Anteil an Menschen, die mit künstlichen Gelenken leben, so hoch wie in der Schweiz. Das hat unbestritten mit dem Wohlstand und der Verfügbarkeit von medizinischen Leistungen zu tun. Doch eine brisante Frage treibt Gesundheitsbehörden dabei um: Führt das grosse Angebot auch zu einer Überversorgung? Anders formuliert: Werden zuviele künstliche Hüften und Kniegelenke implantiert?
Hüft- und Knie-Prothesen im Fokus: Wird zu viel gemacht?
In der Region Nordwestschweiz, wo die Gesundheitskosten besonders hoch sind, wollen es einige Kantone herausfinden. Das Gesundheitsdepartement von Basel-Stadt lancierte per Anfang 2017 eine Studie, bei der die Hüft- und Knie-Implantationen in der Region Basel unter die Lupe genommen werden.
«Der Verdacht steht im Raum, dass auf dem Gebiet der Implantationen zu viel gemacht wird», sagt Thomas von Allmen, Leiter Spitalversorgung im Gesundheitsdepartement von Basel-Stadt. Unterdessen machen auch mehrere Spitäler der Kantone Baselland und Solothurn mit.
Die Untersuchung ist bis 2020 ausgelegt und setzt bei den Patienten an: Wie geht es ihnen vor der Operation? Wie ist das Befinden sechs Monate später? Und wie zufrieden sind sie, zwei Jahre nachdem sie ein künstliches Gelenk erhalten haben?
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Deutlicher Rückgang seit Studienbeginn
Im Gesundheitsversorgungsbericht haben die Gesundheitsbehörden des Kantons Basel Stadt erste Resultate veröffentlicht. Sie sind erstaunlich und brisant: Die Anzahl eingesetzter Hüft- und Knieprothesen ist nämlich im Vergleich zum Studienbeginn deutlich gesunken. Minus 23,6 Prozent bei den Knie-Erstimplantationen und gar 34,2 Prozent weniger bei den Hüft-Erstimplantationen.
Nun drängt sich die Frage auf, ob dieser Rückgang etwas mit der Studie des Kantons zu tun hat. Thomas von Allmen vermutet es: «Es ist ähnlich wie beim Billettkontrolleur. Wenn man weiss, dass kontrolliert wird, hält man sich eher an vernünftige Regeln.»
Zwar sei es noch viel zu früh, um einen solchen Befund erhärten zu können, räumt der Leiter Spitalversorgung ein, immerhin stelle man diesen Rückgang nun aber fest.
Der Kanton werde auf jeden Fall weiterhin genau hinschauen und am Ende der Studie wenn nötig eingreifen, zum Beispiel, indem Leistungsaufträge gekürzt oder ganz gestrichen werden.
Spitäler und Orthopäden wehren sich gegen den Verdacht
Der Kontrolleffekt des Regulators spiele, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle, sagt Stephan Fricker. Der CEO der Merian-Iselin-Klinik in Basel hat dafür gesorgt, dass sein Belegsarztteam bei der Studie mitmacht. Erste Schlüsse zu ziehen, dafür sei es bei einer auf mehrere Jahre ausgelegten Studie viel zu früh.
Mit der ältesten Wohnbevölkerung im ganzen Land, könne es nicht erstaunen, dass die Rate der Kunstgelenke in dieser Region höher sei als anderswo, gibt Fricker zu bedenken. Ausserdem seien 2016 besonders viele Implantationen gemacht worden. Solche Ausreisser gebe es in der Medizin immer wieder, und nun habe sich die Zahl halt wieder auf dem «Normalstand» nivelliert.
Vor allem sei er davon überzeugt, wirft Klinikchef Fricker ausserdem ein, dass man Patienten «nicht zu schnell auf den Operationstisch zieht.»
Claudio Dora, Präsident des Verbandes Swiss Orthopaedics, pflichtet Fricker bei: «Der Eingriff ist gross, ihn leichtfertig zu planen und durchzuführen wäre inakzeptabel.»
Weitere Kantone sind interessiert
Die Diskussion um eine Überversorgung der Schweizer Bevölkerung wird weitergehen. Dafür sorgt alleine schon die laufende Untersuchung/Studie der Kantone BS, BL und SO. Bereits sollen sich weitere kantonale Gesundheitsbehörden dafür interessieren.