- Nach dem Willen des Ständerats soll es künftig bei allen Abstimmungen in der kleinen Kammer nachvollziehbar sein, wer wie gestimmt hat.
- Mit 28 zu 14 Stimmen hat die «Chambre de réflexion» am Mittwoch einer entsprechenden Änderung ihres Geschäftsreglements zugestimmt.
- Im Nationalrat werden schon heute alle Abstimmungsergebnisse in Form einer Namensliste veröffentlicht.
Der Ständerat war bislang standhaft: Schon mehrfach lehnte er eine umfassende Publikation von Namenslisten bei Abstimmungen ab. Nun hat das Anliegen – vertreten vom parteilosen Schaffhauser Ständerat Thomas Minder von der SVP-Fraktion – erstmals eine Mehrheit gefunden.
Die Zeit sei reif für die Offenlegung, sagte er. «Die Wählerinnen und Wähler sollen sich einfach informieren können, wenn sie ein bestimmtes Abstimmungsresultat unseres Rates interessiert.» Denn wer will, sieht auch heute, wer wie gestimmt hat: Die Abstimmungstafel im Video der Debatte verrät es.
Weniger Reflexion, dafür mehr Show?
Nutzerfreundlicher wäre eine Namensliste, so wie im Nationalrat, argumentieren die Befürworterinnen und Befürworter um Minder. Genau dies gelte es zu verhindern, kontert der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch: So zu werden wie der Nationalrat mit seinen 200 Mitgliedern. «Wir sind kleiner, wir sind 46. Das heisst, unsere einzelnen Abstimmungen sind nur das Resultat einer ganzen Debatte.»
Videogalerie
Wenn schon, müsse es umgekehrt laufen, ergänzt der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht: Der Nationalrat müsste ständerätlicher werden – also zur ruhigen Chambre de réflexion mit echten Debatten. Aber passiert sei das Gegenteil: Der Ständerat habe sich bereits an den Nationalrat angeglichen – es sei ein Kommen und Gehen. «Das hat zu einer grossen Unruhe in diesem Rat geführt.» Würden jetzt noch stets Namenslisten veröffentlicht, würde der Ständerat endgültig zum kleinen Nationalrat.
Aus der Chambre de réflexion ist eine Chambre der reflexartigen Vertretung der Einzelinteressen geworden.
Was nicht schaden könne, entgegnet der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti. Er wolle sehen, wer wie gestimmt habe: Denn auch in der kleinen Kammer würden immer mehr Anliegen einzelner Lobbys vertreten. «Aus der Chambre de réflexion ist eine Chambre der reflexartigen Vertretung der Einzelinteressen geworden.»
Ständerat gleicht sich dem Nationalrat an
Der Entscheid fällt am Ende überraschend deutlich aus – deutlich für die kleine Revolution, die Namenslisten künftig zu allen Abstimmungen zu veröffentlichen. Damit könnte der Druck auf die Ständeräte steigen, konform auf Fraktionslinie zu stimmen – so wie im Nationalrat, sagt Politikwissenschafterin Sarah Bütikofer, Mitgründerin der Politologie-Plattform «De Facto».
Im Ständerat sei das zu sehen gewesen im Verlauf der letzten sieben Jahre – also seit da wenigstens die Namenslisten zu den Gesamtabstimmungen öffentlich sind. So hat Bütikofer beobachtet, «dass sich im Vergleich zu früheren Untersuchungen, als man quasi noch von Hand auszählen musste, wer wie abgestimmt hat, doch eine gewisse Annäherung an das Verhalten der Fraktion aus dem Nationalrat abzeichnet».
Die Vorstellung, künftig vermehrt auf das Abstimmungsverhalten angesprochen zu werden, behagt sehr wahrscheinlich nicht allen.
Die kleine Revolution könnte sich nun insbesondere auf jene auswirken, die nicht immer der Parteiparole folgen: auf Abweichlerinnen und Abweichler. Sie dürften künftig auf ihr Abstimmungsverhalten angesprochen werden. «Und diese Vorstellung behagt sehr wahrscheinlich nicht allen.»
Die Mitglieder des Ständerats haben theoretisch eine letzte Chance, das Vorhaben doch noch zu verhindern: in der Schlussabstimmung am Freitag – von der übrigens auch nach bisherigem Regime eine Namensliste publiziert wird.