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Transparente Abstimmungen Der Ständerat beugt sich dem Zeitgeist

In einem Vorstoss forderte Ständerat Thomas Minder mehr Transparenz in seinem Gremium: Alle Abstimmungen des Ständerats sollen, wie im Nationalrat, in Form einer Namenliste veröffentlicht werden.

Derzeit wird bloss bei Gesamt- und Schlussabstimmungen eine Liste publik gemacht. Der Grossteil des Abstimmungsverhaltens – etwa die umkämpften Abstimmungen zu den Detailberatungen – werden zwar live übertragen, aber nirgends zusammengefasst publik gemacht.

Trend zu mehr Transparenz

In den letzten Jahren wurden die Forderungen nach mehr Transparenz lauter. Denn die Bevölkerung sieht den Staat zunehmend als Dienstleister an. Dieser soll seine Aufgaben effizient zum Wohle der Allgemeinheit erfüllen. Und nun soll der Ständerat also alle Abstimmungen transparent machen. Doch ist das eine gute Idee?

Erinnern wir uns an die Einführung der elektronischen Abstimmung im Ständerat. Gegner monierten, mit mehr Transparenz werde der Druck auf die Ratsmitglieder grösser, auf Parteilinie abzustimmen. Und nicht mehr gemäss sachlicher Kriterien oder eigener Überzeugungen.

Nicht erster Schritt in diese Richtung

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Im Bundeshaus wurde in den letzten Jahren verschiedentlich mehr Transparenz geschaffen. Etwa 2006, als das Öffentlichkeitsgesetz eingeführt wurde: Dokumente der Bundesverwaltung sind seitdem grundsätzlich öffentlich zugänglich. 2013 willigte der Ständerat dem elektronischen Abstimmungsbetrieb zu. Das Zählen erhobener Hände in der kleinen Kammer ist deshalb passé. Und erst kürzlich einigte sich das Parlament auf mehr Transparenz in Sachen Finanzflüsse bei Abstimmungen und Wahlen, Parteien und Komitees.

Zudem wird im Ständerat meist keine Show zugunsten der Medien veranstaltet, wie das im Nationalrat oft zu beobachten ist. In der kleinen Kammer gibt es das ungeschriebene Gesetz, sich nur dann zu Wort zu melden, wenn es angebracht ist. Haufenweise Einzelanträge oder das Nachbeten von Parteiparolen sind ebenfalls nicht gern gesehen.

Einfluss von Parteien nimmt zu

Es gilt als unbestritten, dass die zunehmende Polarisierung zu ineffizientem Politspektakel und zu Pattsituationen im Parlament führt. Einigungen in wichtigen Fragen werden schwieriger, etwa bei der Altersvorsorge oder in der Europafrage. Neueste Studien belegen denn auch, dass die Einführung der elektronischen Stimmabgabe im Ständerat zu einem veränderten Abstimmungsverhalten geführt hat.

Die Ratsmitglieder wichen weniger oft von den Vorgaben der eigenen Partei ab als zuvor. Dies zulasten der Kantonsinteressen. In der Debatte wurde die Befürchtung geäussert, der Ständerat gleiche sich dem Nationalrat an. Das ist nicht gewünscht. Der Ständerat soll sich sowohl in der Form und zuweilen auch im Inhalt vom Nationalrat unterscheiden.

Ist mehr Transparenz bei Abstimmungen im Ständerat also eine schlechte Idee? Trotzdem, nein.

Pferdefuss sind die bezahlten Mandate

Der Grund ist simpel: Organisationen und Verbände üben via bezahlte Mandate von Ständerätinnen und Ständeräten viel Einfluss auf die Gesetzgebung aus. Mit anderen Worten: Der Entscheid, den Ja- oder Nein-Knopf zu drücken, hängt nicht nur von den eigenen Überzeugungen, sondern auch stark von den Mandaten ab, die ein Ratsmitglied hat.

Darum haben die Wählerinnen und Wähler ein Anrecht, auf einfache Art und Weise zu erfahren, wer in umstrittenen Fragen wie abgestimmt hat. Die Transparenz ist deshalb höher zu gewichten als der erhöhte Druck von Parteien und der Druck zur medialen Show. Dies hat die Mehrheit der Ständeräte ebenfalls so gesehen.

Christa Gall

Bundeshausredaktorin

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Christa Gall ist seit 2012 Redaktorin bei SRF, seit 2018 für die TV-Bundeshausredaktion. Bevor sie zu SRF wechselte, schrieb sie für diverse Zeitungen und Zeitschriften.

Echo der Zeit, 15.12.2021, 18:00 Uhr

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