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Melatonin aus dem Internet Zweifelhafter Trend: Schlaf-Gummibärli sollen Kinder ruhigstellen

Süsse Träume: Auf Social Media werden Melatonin-Gummibärli als Wundermittel angepriesen, damit Kinder rasch einschlafen.

Bunte Gummibärchen mit Melatonin sollen Kindern einen schnellen Schlaf ermöglichen – und Eltern einen stressfreien Abend. Auf Social Media ist das Nahrungsergänzungsmittel ein Trend. Deutsche Kinderärztinnen und Kinderärzte halten das für riskant. Sie warnen davor, das Schlafhormon an Kinder zu verabreichen.

In Deutschland ist Melatonin ab einer Dosis von einem Milligramm verschreibungspflichtig. Dennoch gibt es in Drogerien verschiedene Nahrungsergänzungsmittel, die das Schlafhormon in niedrigerer Dosis beinhalten.

Melatonin-Süssigkeiten
Legende: Die Nahrungsergänzungsmittel versprechen schnelles Einschlafen und das Ende von Schlafstörungen. Es gibt sie in Form von Tabletten, Sprays, Tees, Tropfen und Gummibärchen. Getty Images/Joe Raedle

In der Schweiz sind laut der Arzneimittelbehörde Swissmedic nur drei Melatonin-Präparate zugelassen, alle davon rezeptpflichtig. Melatonin als Nahrungsergänzung oder Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, ist verboten. Ende November hat Swissmedic auch explizit vor dem Import von Melatonin gewarnt.

Import von Melatonin-Produkten ist legal

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Ruth Mosimann von Swissmedic stellt fest, dass etwa aus den USA Schlaf-Gummibärli mit einer Dosis von zehn Milligramm importiert werden. «Meiner Meinung nach wird das komplett verharmlost.» Denn Kinder könnten die Produkte wie Süssigkeiten konsumieren oder sogar heimlich nehmen. «Gerade bei Kindern kann dies zu gravierenden Nebenwirkungen führen.»

Swissmedic warnt auch wegen der mitunter hohen Dosierungen davor, Melatonin im Ausland zu bestellen. Illegal ist das aber nicht: Privatpersonen dürfen in der Schweiz nicht zugelassene Arzneimittel für den persönlichen Gebrauch in kleiner Menge (im Rahmen eines Monatsbedarfs) aus dem Ausland importieren.

Geht die Bestellung darüber hinaus, wird diese beschlagnahmt. In diesem Fall müssen Schweizer Kundinnen und Kunden laut Swissmedic-Vertreterin Mosimann mit einem kostenpflichtigen Verwaltungsverfahren rechnen. «Dieser Aufwand wird dann in Rechnung gestellt.»

Jens Acker, Chefarzt an der Klinik für Schlafmedizin in Bad Zurzach und Zürich, warnt davor, sich Melatonin ohne ärztliche Verschreibung im Internet zu besorgen. «Es verstellt die innere Uhr, wenn Sie es zur falschen Zeit nehmen.» Dazu kommt: Bei erwachsenen Menschen führe Melatonin gar nicht zu einem schnelleren Einschlafen. «Das ist ein Missverständnis. Es führt eher zu einer Stabilisierung von vorhandenem Schlaf.»

Um vom Schlafhormon müde zu werden, müsse man sehr grosse Mengen einnehmen, sagt Acker. «Und das hat definitiv Nebenwirkungen.» So kann es bei hoher Dosierung zu einem «Überhang» kommen, wie es Acker ausdrückt: etwa, wenn man sich schläfrig ins Auto setzt und dann in eine gefährliche Situation gerät. Zudem seien problematische Interaktionen mit anderen Medikamenten möglich.

Junge im Bett
Legende: Gesunde Kinder haben keinen Melatonin-Mangel. Bei älteren Menschen wird Melatonin dagegen weniger stark produziert. Bei Patientinnen und Patienten, die im Alter unter Schlafstörungen leiden, wird laut Schlafmediziner Jens Acker denn auch oftmals ein zugelassenes Melatonin-Präparat verordnet. Keystone/DPA/Jens Kalaen

Der Schlafmediziner schliesst: «Die freie Einnahme von Melatonin kann nach hinten losgehen. Als Schlafmittel in der Hand von Laien ist es überhaupt nicht empfehlenswert.» Unter ärztlicher Aufsicht kann das Schlafhormon zwar hilfreich sein – aber längst nicht für alle.

Wenn Eltern ihren Kindern Melatonin verabreichen, sieht Acker das umso kritischer: Gerade bei Kindern müsse genau eruiert werden, was zu allfälligen Ein- und Durchschlafstörungen führe. Dazu komme die Frage der Reinheit der jeweiligen Substanz. «Schlafmediziner und Kinderärzte raten eindeutig davon ab, Kindern irgendein nicht kontrolliertes Produkt zu verabreichen. Eine Melatonin-Behandlung gehört in die Hände von Fachleuten.»

Melatonin: das «Hormon der Nacht»

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Das natürliche Hormon Melatonin wird in der Zirbeldrüse im menschlichen Gehirn produziert und wird aktiviert, wenn es dunkel wird. «Vitamin D kennen alle, das ist das Hormon des Tages», erklärt Kinderarzt Ekkehart Paditz, der Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung (DGSM) ist. «Melatonin ist der Gegenspieler, das ist das Hormon der Nacht.»

In der dunklen Jahreszeit steigt der Melatonin-Spiel bei uns an. Deswegen würden wir im Winter auch ein bisschen länger und manche Leute auch ein bisschen besser schlafen, wie der Schlafmediziner Jens Acker ausführt. Durch Lichteinstrahlung wird das Schlafhormon wiederum unterdrückt: «Wenn wir also in den sonnigen Bergen sind, wird Melatonin wieder zurückgefahren und ist tagsüber praktisch irrelevant.»

Melatonin als Lifestyle-Produkt zu nehmen, sieht Acker ebenfalls kritisch. In den sozialen Medien wird Melatonin aber als genau das beworben: ein natürliches Mittel zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens. Zudem versprechen Influencerinnen und Lifestyle-Gurus positive Effekte für den ganzen Körper – von der Haut über die Sehkraft bis zum Immunsystem.

Frau in Bett, ihr Gesicht wird vom Handy angeleuchtet
Legende: Nur wenige Menschen sind auf das Schlafhormon angewiesen, damit sie schlafen können. Dazu gehören laut Schlafmediziner Jens Acker etwa Blinde, deren Rhythmus wegen des fehlenden Augenlichts gestört ist. Imago Images

Ausreichend langer Schlaf und gute Erholung seien natürlich gesund und würden auch dem Körper helfen, sagt Acker. «Und daraus werden dann solche Verkaufsargumente für Melatonin abgeleitet.» Grundsätzlich gebe es aber bei gesunden Menschen keinen Melatonin-Mangel. «Für sie gibt es aus medizinischer Sicht keine Notwendigkeit, sich Melatonin zuzuführen.»

Acker verschreibt seinen Patientinnen und Patienten Melatonin und hat es auch schon selber ausprobiert. Generell sei das Schlafhormon zwar gut verträglich. Doch der Schlafmediziner rät dringend davon ab, es zur Dauermedikation zu nehmen oder es in Eigenregie Kindern zu verabreichen.

SRF 4 News, 07.12.2023, 6:19 Uhr ; 

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