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Missbrauchsfälle in der Kirche Das Bistum Chur und die verschlossenen Akten von Liechtenstein

Seit fast 30 Jahren lagern Akten aus dem Bistum Chur im Erzbistum Vaduz – bis heute weiss niemand genau, welche. Forscherinnen und Forscher der Universität Zürich kämpfen um Einsicht.

Die Studie der Universität Zürich zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche sorgte vor mittlerweile über zwei Jahren für Schlagzeilen. Das Ausmass: über 1000 Fälle mit über 900 Betroffenen. Diese Pilotstudie hat eine Hauptstudie zur Folge, an welcher die Forschenden momentan arbeiten. Sie rechnen dabei mit noch mehr Missbrauchsfällen.

Für die Studie durchforsten sie schweizweit Archive und Akten. Doch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stossen zunehmend auf Widerstände, wie die NZZ kürzlich schrieb. Im Artikel ist von 2025 als «Jahr der verschlossenen Türen» die Rede, weil der Zugang zu den Akten teilweise verweigert worden sein soll.

Vaduzer Abspaltung von Chur als Ursprung

Ein Beispiel: das Erzbistum Vaduz. Als der frühere Churer Bischof Wolfgang Haas erster Erzbischof von Vaduz wurde und nach Liechtenstein umzog, wurden auch Akten von Chur nach Vaduz überführt. Dort liegen sie nun seit 30 Jahren – die Forschenden haben bislang keinen Zugang.

Proteste gegen Bischof Wolfgang Haas

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Menschenmenge bei einem Protest mit einem grossen Banner in einem Dorf.
Legende: Rund 7000 Demonstrantinnen und Demonstranten protestierten am 17. Juni 1990 gegen den neuen Churer Bischof Wolfgang Haas. Keystone / Archive

Wolfgang Haas wurde 1990 von Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof mit «Nachfolgerecht» ernannt. So wurde das traditionelle Mitspracherecht des Churer Domkapitels ausgehebelt. Tausende protestierten gegen Haas und forderten mehr Demokratie in der Kirche und mehr Rechte für Frauen. Haas war bekannt für seine erzkonservativen Ansichten und ging auch während seiner Churer Amtszeit nicht auf Wünsche ein.

Im Bistum Chur entwickelte sich ein Streit, die Fronten verhärteten sich, bis 1997 aus Rom der Donnerschlag folgte: Haas musste gehen und wurde formal ins Erzbistum Vaduz befördert – das eben zuerst geschaffen werden musste. Auch dort kam es zu Protesten. Wolfgang Haas blieb Erzbischof von Vaduz, bis er 2023 pensioniert wurde.

Der aktuelle Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain sagt zu SRF, es sei rechtens gewesen, dass die Akten nach Liechtenstein gebracht wurden. Aber: «Man hätte in Chur ein Verzeichnis hinterlassen müssen, welche Akten dorthin gegangen sind.» Dies habe man verpasst. Deshalb wisse er auch nicht, was in diesen Akten steht. Nur so viel: Es handle sich um Akten über acht oder neun Priester.

Geistlicher in prunkvollem Gewand bei einer Zeremonie.
Legende: Sieben Jahre lang war Wolfgang Haas Bischof von Chur. Daraufhin wurde er nach Vaduz versetzt, wo er erster Erzbischof wurde. Bei seinem Umzug wanderten auch Akten von der Diözese Chur ins Fürstentum. Keystone / Ennio Leanza

Laut NZZ hat das Bistum Chur mehrfach versucht, zumindest eine Inventarliste zu erhalten. Diese Aufforderungen aus Chur seien unter Haas' Leitung in Vaduz aber unbeantwortet geblieben. Gespräche im Sinne eines Aktentransfers habe es nicht gegeben, sagt Bischof Bonnemain zu SRF.

Noch keine finale Entscheidung um Vaduzer Akten

Lucas Federer von der Forschungsgruppe der Universität Zürich spricht von einem kleinen Archivbestand, der für die gesamte Aufarbeitung dennoch wichtig sein könne: «Beispielsweise, wenn Personen von einer Pfarrei in eine andere versetzt wurden.» Solchen Spuren wolle das Forschungsteam nachgehen, um Versetzungen nachvollziehbar zu machen.

Der Antrag auf Einsicht in die Vaduzer Akten wurde mit Verweis aufs liechtensteinische Datenschutzgesetz abgelehnt. Das Erzbistum prüfe den Fall erneut, schreibt die NZZ. Wann eine Entscheidung fällt, ist unklar.

Älterer Mann mit Brille und Priesterkragen, nachdenklich in Kirche sitzend.
Legende: Joseph Maria Bonnemain ist seit viereinhalb Jahren Bischof von Chur. Keystone / Gian Ehrenzeller

Dass es Fälle gegeben habe, wo Forschende während ihrer Studienarbeit nicht an Daten kamen, sei durchaus vorgekommen, bestätigt der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain. Dies seien aber Einzelfälle: «In den letzten Monaten gab es ein Missverständnis zwischen dem Bistum Basel und den Forschenden, inwiefern bestimmte Akten zugänglich sind. Die Forscher haben dies mit dem Basler Bischof besprochen, es wurde bereinigt.» Die Archive aller Diözesen seien offen.

Wir müssen am Ball bleiben. Immer.
Autor: Joseph Maria Bonnemain Bischof von Chur

Forscher Lucas Federer bestätigt dies auch für das Bistum Chur: «Wir sind auf eine sehr kooperative und konstruktive Atmosphäre gestossen. Wir haben im Bistum Chur uneingeschränkten Archivzugang.» Der Zugang sei bislang sehr unkompliziert und ohne Verzögerungen verlaufen.

Die Resultate aus der laufenden Folgestudie zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche präsentiert die Forschungsgruppe der Universität Zürich im Jahr 2027. Die Forschungsarbeiten sollen bis Ende kommenden Jahres abgeschlossen sein. Oder wie es Bischof Bonnemain aus Chur sagt: «Wir müssen am Ball bleiben. Immer.»

Regionaljournal Zürich, 4.12.2025, 17:30 Uhr ; 

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