Wo früher Bankangestellte ihre Kunden bedient haben, eröffnet bald ein Coworking-Space. In der ehemaligen Bankfiliale der ländlichen Gemeinde Gossau (ZH) sollen sich Arbeitnehmerinnen oder Selbständige einen Tisch mieten: für ein paar Stunden, Tage oder Wochen.
Coworking-Spaces als Stau-Killer?
Noch zeugt das Panzerglas an den Fenstern von der Bankenvergangenheit. Im Untergeschoss gibt es einen Tresorraum mit Schliessfächern. Doch in den oberen Räumen stehen Tische mit Bildschirm, Tastatur und Computermaus bereit.
Arbeitsort: ehemalige Bankenfiliale
Organisiert hat die 20 Arbeitsplätze der Verein «Otter Work». Vizepräsident Roger Hiestand sieht im regionalen Coworking-Space die perfekte Mischung: «Man arbeitet nicht zu Hause am Küchentisch, sondern kann seine eigenen vier Wände verlassen. Gleichzeitig muss man keine langen Reisezeiten mit dem öffentlichen Verkehr oder Stau mit dem Auto auf sich nehmen.»
Verkehrsanbindung ist wichtig
Das Coworking-Space in Gossau ist schweizweit kein Einzelfall. Auch Meiringen (BE) mit seinen rund 4800 Einwohnerinnen und Einwohnern bietet Mietbüros an. Andere finden sich in Altdorf (UR) oder Steckborn (TG).
«Dass es mehr und mehr Coworking-Spaces auf dem Land gibt, ist ein erfreulicher Trend», sagt Claudius Krucker. Er ist Co-Präsident des nationalen Verbands Coworking Switzerland und vertritt knapp 200 Gemeinschaftsbüros.
Die Bevölkerung wünsche sich vermehrt einen Arbeitsplatz in der Nähe: «Coworking-Spaces auf dem Land sprechen Selbstständige und Angestellte an, die nicht jeden Tag in ein Firmenbüro in die Stadt pendeln möchten.» Im Idealfall sei die Verkehrsanbindung gut, sodass auch Personen aus Nachbargemeinden die Mietbüros nutzten.
Ruhe statt Kindergeschrei
Im Unterschied zu Coworking-Spaces in Städten sind die Büroräume auf dem Land meist kleiner. Die Vermieter sind laut Krucker nicht profitorientierte Firmen, sondern Leute aus der Region, die sich mit viel Herzblut engagieren.
Dies bestätigt die Neueröffnung in Gossau. Die Gemeinde hat die Idee des Coworking-Spaces entwickelt und ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht. Roger Hiestand hat sich gemeldet.
Der 39-Jährige nutzt selbst seit längerem ein Coworking-Space. «Ich arbeite in der Informatikbranche. Bei unseren Aufgaben sitzt man häufig still am Computer und programmiert etwas», sagt Hiestand. Dies sei im Mietbüro ungestört möglich. Gleichzeitig schätze er den Austausch mit anderen.
Über 500 Coworking-Spaces gibt es derzeit in der Schweiz, achtmal mehr als 2016. Und der Trend dürfte weiter andauern: «Das Bedürfnis, seinen Arbeitsort individuell zu wählen, bleibt bestehen», sagt der Arbeitspsychologe Christoph Negri. Er leitet das Institut für Angewandte Psychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Auch die Atmosphäre zählt
Zwar sei ein Coworking-Space nicht für alle ideal: «Ich kenne viele Leute, die weiterhin in einem Büro arbeiten, weil es ihnen wohl ist und sie besser arbeiten können.» Insgesamt aber böten Coworking-Spaces viele Vorteile: «Sie müssen einfach gut erschlossen sein, die richtige Infrastruktur haben und eine angenehme Atmosphäre ausstrahlen.»
Ob die frühere Bankfiliale in Gossau viel Publikum anzieht, zeigt sich erst mit der Zeit. Die Arbeitsplätze stehen auf jeden Fall bereit. Und die Schliessfächer können genutzt werden, wenn jemand für seine Wertsachen einen sicheren Platz sucht.