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Nach CS-Übernahme durch UBS Schädigt das Notrecht die Demokratie?

Bei der Rettung der Credit Suisse kam es einmal mehr zum Zug: das Notrecht. Damit kann der Bundesrat, ohne Parlament und Volk zu berücksichtigen, Verordnungen erlassen. Das Werkzeug gilt eigentlich als Ultima Ratio , dennoch hat es der Bundesrat in den vergangenen Jahren immer häufiger angewendet – alleine in der Pandemie 18 Mal. Was macht diese Enteignung von Parlament und Volk mit unserer Demokratie? Andreas Glaser, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, ordnet ein.

Andreas Glaser

Staatsrechtsprofessor

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Andreas Glaser ist Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht unter besonderer Berücksichtigung von Demokratiefragen an der Universität Zürich und am Zentrum für Demokratie (ZDA) in Aarau.

SRF News: Wieso hat der Bundesrat überhaupt die Möglichkeit, Notrecht anzuwenden?

Andreas Glaser: Notrecht braucht es für Situationen, in denen sehr schnell gehandelt werden muss. Deshalb hat man das in der Bundesverfassung verankert. Aber es ist natürlich immer eine Gratwanderung. Es kann gut sein: Für die Bewältigung von Einzelereignissen ist es wichtig. Aber es darf natürlich nicht ausarten, es darf nicht zu oft das Notrecht genutzt werden.

Der Bundesrat hat jetzt eindeutig mehr Macht als in einer Normalsituation.

Wendet der Bundesrat Notrecht denn tatsächlich häufiger an?

In den letzten Jahren können wir eine deutliche Häufung feststellen. Die UBS-Rettung 2008 war noch ein Einzelfall. Dann hatten wir natürlich die Covid-Pandemie mit einer Explosion der Anwendungen von Notrecht. Es folgten der Rettungsschirm für die Axpo und jetzt die CS-Rettung. Wir haben eine Häufung, die wir vorher so nicht kannten.

Was bedeutet das?

Das bedeutet eine Machtverschiebung weg vom Parlament und von den Stimmberechtigten hin zum Bundesrat. Der Bundesrat hat jetzt eindeutig mehr Macht als in einer Normalsituation.

Notrecht in der Schweiz

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Rote Ordner der Systematischen Sammlung des Bundesrechts in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern.
Legende: Notrecht braucht es für Situationen, in denen sehr schnell gehandelt werden muss und ist darum in der Bundesverfassung dafür vorgesehen. Wikipedia/ArkheinVonB

Das Notrecht im heutigen Sinne gibt es seit 1999, als die Bundesverfassung revidiert wurde. Der Bundesrat kann es, gestützt auf die Artikel 184 und 185, anwenden: Zur Wahrung der Interessen des Landes und der inneren und äusseren Sicherheit kann er selber Verordnungen erlassen, ohne dabei das Parlament oder das Volk fragen zu müssen.

Erstmals angewendet wurde das Notrecht 2008 bei der UBS-Rettung. Es folgten im Jahr 2020 insgesamt 18 Anwendungen während der Corona-Pandemie. 2022 nutzte es der Bundesrat für den Axpo-Rettungsschirm und zuletzt 2023 für die Rettung der Credit Suisse.

Anwendungen des Notrechts gab es aber schon früher, jedoch unter Miteinbezug des Parlamentes: Im Ersten Weltkrieg gab das Parlament 1914 dem Bundesrat ausserordentliche Vollmachten. Das Gleiche wiederholte sich beim Zweiten Weltkrieg – die Sonderrechte behielt der Bundesrat damals bis 1950.

Der Bundesrat hat mehr Macht ist das Anlass zur Sorge?

Wir müssen uns immer Sorgen machen, wenn die normale Demokratie nicht so funktioniert, wie wir sie kennen. Aber man muss es auch in der historischen Perspektive sehen: Wenn es Krisen gab, fand eine solche Machtverschiebung zum Bundesrat statt. Am massivsten war das während und nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1990er- und 2000er-Jahren hatten wir aber sehr ruhige Phasen, in denen alles im Normalbetrieb lief. Jetzt, mit der Häufung von Krisen, haben wir auch wieder mehr Macht beim Bundesrat.

Wenn Notrecht so häufig vorkommt, kann es zu einem Problem für die Demokratie insgesamt werden.

Kann dies unsere Demokratie gefährden?

Allein durch die Häufung des Notrechts haben wir natürlich eine Entmachtung des Parlaments und der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Im Einzelfall ist das nicht schlimm, aber wenn es natürlich so häufig vorkommt, kann es zu einem Problem für die Demokratie insgesamt werden.  

Mit Notrecht regiert der Bundesrat quasi in Eigenregie. Riskiert er so nicht ein Vertrauensverlust bei der Bevölkerung?

Wir haben bereits während der Pandemie gesehen, dass Kritik aufgekommen ist und das Vertrauen in den Bundesrat verloren ging. Ich denke, das ist aber auch ein Kontrollventil gegenüber dem Bundesrat. Dieser muss immer im Auge behalten, dass die Stimmbürgerinnen und -bürger nicht vergessen gehen. Ansonsten kann es natürlich passieren, dass sie beispielsweise mit einer Volksinitiative reagieren und sagen: Diese Notrechtsbefugnisse des Bundesrates gehen zu weit.

Das Gespräch führte Andrea Thurnherr.

10 vor 10, 23.03.2023, 21:50 Uhr ; 

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