Gross war in diesem Land die Besorgnis vor der Abstimmung am Sonntag, dass sich die Gesellschaft spaltet, dass das Abstimmungsergebnis wider den Voraussagen knapp würde. Auf dem Massnahme-kritischen Telegram-Channel von «Stiller Protest» war noch vor kurzem zu lesen: «Es wird sehr knapp.»
Nun sehen die Skeptiker und Skeptikerinnen deutlich: Sie sind eine Minderheit. Jene, welche die Pandemiemassnahmen gutheissen, eine bedeutende, auch demokratisch legitimierte Mehrheit.
Skeptiker antizipieren Niederlage schon
Die behördlichen Massnahmen bauen zusätzlich zu den Fakten auch auf die stille Unterstützung der Bevölkerung.
Alles gut im Schweizer Land? Nicht ganz. Führende Kreise der Skeptiker-Szene haben diese zweite Niederlage an der Urne schon lange antizipiert und starten durch. Denn sie wissen, dass sie in der Minderheit sind. Und richten sich danach.
Bestes Beispiel dafür ist Michael Bubendorf, Vorstandsmitglied der «Freunde der Verfassung». Zweimal haben die «Freunde» das Covid-Gesetz an die Urne gebracht. Noch im März 2021 stellte sich Bubendorf vor die SRF-Kamera. Seine Botschaft damals: Ihm sei es «mega wichtig, dass wir die Spaltung der Gesellschaft nicht weiter betreiben».
Brücken sprengen ist angesagt
Heute, zwei Abstimmungsniederlagen später, lautet seine Botschaft: Mit «Systemmedien» rede ich nicht. Punkt. Bubendorf und seine «Freunde» wollen nicht mehr Brücken bauen wie damals – jetzt ist Brücken sprengen angesagt: Die «Freunde» setzen auf ein neues Online-TV (TTV), welches gestern aus einem eigenen Abstimmungsstudio streamte. Bubendorf moderierte gekonnt. Ab 2022 sollen täglich Nachrichten folgen. Ziel ist eine eigene Subkultur, eine Gegenöffentlichkeit. Das Trennende steht jetzt im Vordergrund und soll kultiviert werden.
Wie Bubendorf sind viele radikale Skeptiker keineswegs Radikale im landläufigen Sinn. Sie schmeissen keine Steine und rennen nicht an gegen Gitter vor dem Bundeshaus. Sie kehren sich vielmehr gegen innen oder eben hin zu all jenen, welche das Gleiche postulieren: Dem Staat kann man nicht trauen, die Demokratie steht sich selber im Weg – wir schaffen uns unsere eigene Welt.
Eigene Partei, eigene Spitex, eigene Schulen
Auch Caroline Jockel geht einen eigenen Weg. Die Lehrerin aus dem Kanton Basel-Land stellt sich zwar den Fragen von SRF, aber sie bricht so weit wie möglich mit dem Staat, dem herkömmlichen System. Sie sucht eine Alternative. «Ich gehe in eine andere Richtung», sagt sie, «und ganz viele denken so wie ich». An der Volksschule arbeitet sie nicht mehr, jetzt lehrt sie an einer Privatschule.
Gleichzeitig künden Exponenten der Skeptiker-Szene eine eigene, politische Partei an, sogar eine eigene Spitex wird angedacht, eigene Schulen oder eigene Krankenkassen. Vernetzung ist das Skeptiker-Gebot nach der zweiten Niederlage, «zusammenstehen», wie Jockel sagt. Unter dem Hashtag «#AlleMenschensindWillkommen» schliessen sich Zertifikats-feindliche Handwerker und Gastronominnen zusammen. «Manchmal», sinniert die Baslerin Jockel, «trennen sich die Wege». Gemeint ist: von der demokratischen Mehrheit im Land.
Die Vernünftigen sitzen an der Macht
Die Massnahmengegner kapseln sich ab und stehen enger zusammen. Sie bilden ein neues Auffangbecken für all jene, die mit dem demokratischen Staat Schweiz nichts (mehr) anfangen wollen. Das Anti-Staat-Gefühl verbindet langfristig, selbst wenn Corona Geschichte ist.
Was heisst das für das Land, was für die Mehrheit der 62 Prozent «Ja-Sager» (Skeptiker-Jargon)? Der Sonntag hat wiederum gezeigt, dass der Schweizer Souverän sich auch in lärmigen Zeiten von nüchterner Vernunft leiten lässt. Die vernünftige Mehrheit ist kräftig und sitzt an den Hebeln der Macht, Volks-legitimiert. Es steht dieser Mehrheit gut an, jene Brücken aufrecht zu halten, welche eine Minderheit hinter sich abreissen will.