Diese Tat löste vergangene Woche schweizweit Entsetzen aus. Ein 23-jähriger Mann attackierte in Zürich-Oerlikon eine Gruppe Hortkinder mit einem Messer. Drei Kinder wurden verletzt und im Spital behandelt.
Der Täter – ein 23-jähriger, chinesischer Student – konnte dank des beherzten Eingreifens der Hortmitarbeiterin und eines Passanten vor Ort verhaftet werden. Sein Motiv ist unklar, er sitzt in Untersuchungshaft.
Suzanne Martin ist Kinder- und Jugendpsychologin und arbeitet auch in einem Care-Team, das bei Angriffen auf Kinder zum Einsatz kommt. Im Interview erklärt sie, wie Kinder eine Gewaltattacke verarbeiten und wie Eltern sie unterstützen können.
SRF News: Suzanne Martin, wie gehen Sie vor, wenn Sie nach einem solchen Vorfall am Tatort eintreffen?
Suzanne Martin: Wichtig ist, dass man nicht sofort mit der Betreuung beginnt, sondern sich zuerst einen Überblick verschafft. Wer ist betroffen? Und wer kommt noch? Eltern etwa sind oft nicht von Anfang an vor Ort, müssen aber später auch aufgefangen werden. Und neben den Kindern dürfen auch die Hortmitarbeiterinnen, die lange einfach funktionierten, nicht vergessen werden.
Es kommt nicht selten vor, dass Kinder schneller über einen solchen Vorfall hinweg sind als Eltern.
Es kommt nicht selten vor, dass Bezugspersonen, dass Eltern betroffener reagieren, weil sie sich ausmalen können, was alles hätte passieren können. Und Kinder schneller darüber hinweg sind. Die Verarbeitung eines schlimmen Ereignisses ist sehr individuell und hängt auch mit eigenen Erfahrungen, mit der eigenen Resilienz zusammen.
Wie gut stehen denn die Chancen, dass Kinder eine solche Gewalterfahrung gut verarbeiten können?
Diese Chance ist glücklicherweise relativ gross. In vielen Fällen klingt ein traumatisches Erlebnis wieder ab. Wenn Eltern allerdings merken, dass das Kind auch nach vier bis fünf Wochen Mühe bekundet, wenn es nicht mehr in der Lage ist, seinem Alltag oder seinen Hobbys nachzugehen, dann braucht es weitere, professionelle Hilfe.
Man muss sich aber bewusst sein, dass Kinder ein regressives Verhalten an den Tag legen können. Es kann sein, dass ein 5-jähriges Kind wieder einnässt, dass es wieder im Bett der Eltern schlafen will. Das sollten Eltern anerkennen.
Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen?
Ganz wichtig ist, auf die Fragen des Kindes einzugehen. Mit den Fakten, die Eltern zur Verfügung haben, sollten sie das Geschehene erklären, ohne dem Kind Angst zu machen.
Der Vorfall sollte nicht bagatellisiert, aber relativiert werden. Die Kinder dürfen wissen, dass solche Attacken in einem sicheren Land wie der Schweiz selten vorkommen.
Sollten Eltern ihre Kinder aktiv auf dieses Thema ansprechen?
Wenn es nirgends im Umfeld des Kindes Thema ist, wenn das Kind kein verändertes Verhalten zeigt, dann muss es auch nicht zwingend angesprochen werden.
Die Welt hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Krieg in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten. Mit dem Smartphone kommen auch Kinder in Kontakt mit schlimmen Bildern. Spüren Sie das?
Das merken wir, vor allem die Entwicklung mit dem Smartphone. Es sind nicht nur Informationen über Kriege, zu denen sie Zugang haben, etwa über die sozialen Medien, sondern es ist eine Art Gesamtpaket. Es geht dabei um Leistungsdruck an Schulen oder um Mobbing. Und auch der Lockdown während der Corona-Pandemie hat den Kindern und Jugendlichen zugesetzt. All das kumuliert sich und das spüren wir.
Das Gespräch führte Hans-Peter Künzi.