Ausgangslage: In einem Wald im Kanton Schaffhausen stirbt eine Frau durch die umstrittene Suizidkapsel Sarco . Der Einsatz der Kapsel löst Kritik aus. Doch warum? Immerhin ist die Schweiz für ihren liberalen Umgang mit Sterbehilfe bekannt.
Geschichte beginnt vor über 100 Jahren: Seit 1918 ist es in der Schweiz nicht mehr verboten, jemandem beizustehen, wenn er oder sie sich das Leben nimmt. Solange dabei keine eigenen Bedürfnisse befriedigt werden – wenn es also nicht um Geld oder emotionale Gründe geht.
1975 kommt es zu einem Polizeieinsatz: Ein Arzt, der im Zürcher Triemli-Spital arbeitet, wird zu Hause von bewaffneten Polizisten abgeholt. Sein Name ist Urs Peter Hämmerli. Das Schweizer Fernsehen berichtet: «Der Leiter der medizinischen Klinik, Professor Urs Hämmerli, angesehener Arzt und Wissenschaftler, wird beschuldigt, bei todgeweihten, bewusstlosen Patienten die künstliche Ernährung abgesetzt und durch eine blosse Flüssigkeitsabgabe ersetzt zu haben.» Und weiter: «Der angeschuldigte Mediziner übernimmt die volle Verantwortung für alles, was in seiner Klinik verordnet worden ist. Die Ärzteschaft stellt sich geschlossen hinter den Chefarzt.» Der Zürcher Arzt wird später entlastet.
Debatte geht weiter: Rolf Wyler fängt schon ein Jahr zuvor mit einer Unterschriftensammlung an. Für eine kantonale Volksinitiative im Kanton Zürich kriegt er über 5000 Unterschriften zusammen. Wyler war damals noch Lernender und hat kurz zuvor in der Zeitung über Sterbehilfe in den Niederlanden gelesen. Er wollte selbst aktiv werden und etwas tun, wie er Jahrzehnte später zu SRF sagte: «Ich habe gewusst, ich habe 180 Tage Zeit und brauche 5000 Unterschriften. Darum habe ich bei Wind und Wetter gesammelt: 30 Unterschriften pro Tag.»
1977 sagten die Zürcherinnen und Zürcher Ja zu Wylers Volksinitiative: Die Zürcher Regierung muss damit dem eidgenössischen Parlament eine Initiative einreichen, um den Freitod-Paragrafen im Strafgesetzbuch zu liberalisieren. Das nationale Parlament in Bern will davon allerdings nichts wissen. Eine politische und mediale Debatte kommt hingegen in Gang und damit die ersten Bestrebungen, die Sterbehilfe zu professionalisieren.
Sterbehilfe wird institutionalisiert: Im Jahr 1982 wird die erste Sterbehilfeorganisation der Schweiz gegründet: Exit. Hedwig Zürcher, eine pensionierte Lehrerin ist federführend. Später wird sie in der SRF Sendung «Club» ihre Sichtweise verteidigen: «Am Anfang hatte man ja auch Geburtshilfe. Also sollte es auch Sterbehilfe geben. Ich finde, die Ärzte sollten mehr den Umgang mit dem Sterben lehren. Und für mich ist das nichts Schreckliches oder Böses oder Abwegiges.»
Exit wächst: Nach wenigen Jahren zählt die Organisation mehrere tausend Mitglieder. Drei Jahre nach der Gründung wünscht sich dann ein erstes Mitglied Hilfe beim Sterben wegen einer unheilbaren Krankheit. 1985 begleitet Exit die Frau in den Tod, mithilfe von starken Medikamenten, die ihr der Hausarzt verschrieben hat. Legal, denn das Gesetz dazu gibt es schon seit Jahrzehnten.
Heute hat Exit gemäss Webseite über 160’000 Mitglieder: Die Organisation und das Thema Sterbehilfe scheinen also in der Gesellschaft angekommen zu sein. So liberal die passive Sterbehilfe in der Schweiz im Vergleich zum Ausland heute gehandhabt wird: Diskussionen darüber gab es aber immer wieder. Die Kapsel, die jetzt in Schaffhausen eingesetzt wurde, ist nur eines von vielen kontroversen Beispielen.