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Doris Bussmann: «Wenn man über längere Zeit abhängig gemacht und isoliert wird – dann sind das Warnzeichen»
Aus Regionaljournal Zentralschweiz vom 15.02.2023. Bild: SRF/Lea Schüpbach
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Narzissmus «Er war meine grösste Liebe – doch die Abhängigkeit war wie Gift»

In ihrem Beruf unterstützte Doris Bussmann Opfer von häuslichem Machtmissbrauch. Und tappte doch selbst in die Falle. Nun hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet.

Eine Frau, die von ihrem Partner ständig psychisch unter Druck gesetzt wird. Oder ein Sohn, der sich von seiner Mutter emotional erpresst fühlt: Zwei Beispiele von Menschen, die unter narzisstischem Verhalten ihrer Nächsten leiden.

Betroffene haben oft Mühe, sich ihr Leiden einzugestehen oder sich zu wehren – sei es aus Angst vor Konsequenzen oder aus Scham. Hier setzen Doris Bussmann und Esther Balthasar an. Die beiden sind Coaches und Mediatorinnen. Sie haben Selbsthilfegruppen gegründet, um Menschen eine niederschwellige Möglichkeit zu geben, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen.

Die Betroffenen sollen merken, dass sie nicht alleine sind.
Autor: Doris Bussmann Leiterin Selbsthilfegruppe

Die Nachfrage sei gross, sagt Doris Bussmann, die die Selbsthilfegruppe in Goldau im Kanton Schwyz leitet: «Wir waren sehr überrascht, bereits beim ersten Treffen kamen 19 Personen.» Es gehe vor allem darum, dass die Betroffenen einen ersten Schritt machen könnten. «Dass sie merken: Sie sind nicht alleine. Und dass nicht sie selbst das Problem sind.»

Eine einsame Frau von hinten geht durch einer Baumallee.
Legende: Betroffene fühlen sich oft alleine. Der Austausch mit anderen soll helfen. colourbox

Auch Doris Bussmann trägt mit eigenen Erfahrungen zum Austausch bei. Sie selbst sei vor Jahren in einer Liebesbeziehung mit einem narzisstischen Mann gewesen. «Anfangs war alles wunderbar. Er hat mich auf Händen getragen und sich für mich interessiert.» Dann aber habe der Mann sie immer mehr emotional unter Druck gesetzt: «Er fing an, mich abzustrafen, drohte, mich aus der Wohnung zu werfen oder mit Liebesentzug.»

Sie habe es nicht wahrhaben wollen, erzählt sie rückblickend. Kritische Bemerkungen aus ihrem Umfeld habe sie abgewiesen: «Ich habe ihn durch alle Böden verteidigt. Er war meine grösste Liebe.» Erst später sei ihr klargeworden: «Die Abhängigkeit war wie Gift.»

Auch professionelles Wissen schützte nicht

Besonders erstaunlich in ihrem Fall: Doris Bussmann arbeitete damals bei den Strafverfolgungsbehörden im Bereich sexueller und häuslicher Gewalt, war also professionell ausgebildet im Umgang mit Menschen, die ihre Macht missbrauchen. Trotzdem habe sie sich selbst nicht zu schützen vermocht. Sie sei geblendet gewesen von diesem Mann, der sie anfangs mit so viel Liebe überschüttet habe.

Was ist Narzissmus?

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Grundsätzlich steht das Wort Narzissmus für «übersteigerte Selbstliebe» und «Ichbezogenheit» – so definiert es der Duden. Eine psychische Krankheit wird mit dem Begriff also noch nicht abgebildet.

Im psychotherapeutischen Kontext spricht man deshalb von einer «narzisstischer Persönlichkeitsstörung». Laut Auskunft der Dachorganisation der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte der Schweiz (FMPP) wird eine solche diagnostiziert, wenn bei einer Person mehrere Faktoren zusammenkommen – mindestens fünf aus folgender Liste:

  • ein übertriebenes, unbegründetes Gefühl der eigenen Bedeutung und Talente (Grandiosität)
  • die Beschäftigung mit Fantasien von unbegrenzten Erfolgen, Einfluss, Macht, Intelligenz, Schönheit oder der vollkommenen Liebe
  • der Glaube, dass sie speziell und einzigartig ist und sich nur mit Menschen auf höchstem Niveau verbinden sollte
  • der Wunsch, bedingungslos bewundert zu werden
  • die Ausnutzung anderer, um ihre eigenen Ziele zu erreichen
  • ein Mangel an Empathie gegenüber anderen
  • Neid auf andere und der Glaube, dass andere sie beneiden
  • Überheblichkeit

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist häufig in Kombination mit anderen Störungsbildern zu beobachten, heisst es etwa in einem Artikel der Website des deutschen Berufsverbands für Psychiatrie.

Zu erkennen, dass etwas schiefläuft, sei für viele Menschen nicht einfach. Gerade deshalb ist Doris Bussmann überzeugt, dass eine Selbsthilfegruppe sehr hilfreich sein kann: «Schon nur zu hören, dass andere Ähnliches erleben, kann ziemlich heilsam sein.» Und es könne dazu beitragen, den Weg aus dem Leiden hinauszufinden. Es geht um Anerkennung, Unterstützung und gegenseitige Motivation – eine allfällig notwendige Therapie können die Selbsthilfegruppen aber natürlich nicht ersetzen.

Breite Zielgruppe

Doris Bussmann und Esther Balthasars Gruppen sollen Betroffene dazu ermuntern, sich und ihre Probleme nicht aus falscher Scham zu verstecken. Gerade deshalb sei die Zielgruppe auch sehr breit gefasst - das Angebot richtet sich nicht nur an Betroffene von Narzissmus, sondern auch von Mobbing.

Das seien zwar durchaus unterschiedliche Phänomene, ihnen lägen aber ähnliche Prinzipien zugrunde, sagt Bussmann: «Beim Narzissmus ist es eher so, dass man emotional abhängig gemacht wird. Beim Mobbing am Arbeitsplatz hingegen verspürt man eher eine wirtschaftliche Abhängigkeit. Beides ist immer auch stark mit Existenzangst verbunden.» Und von dieser gelte es, sich zu befreien. Der Besuch einer Selbsthilfegruppe kann dazu erste Anstösse geben.

SRF 1, Regionaljournal Zentralschweiz, 17.02.2023, 17:30 Uhr;

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