Die Ausgangslage: Wenn man aus Versehen Tollkirsche isst, wenn das Kind Reinigungsmittel schluckt, wenn jemand zu viele Medikamente oder Rauschmittel intus hat: Dann ist der Giftnotruf (Tel. 145) ein lebenswichtiger Kontakt. Und er bewältigt seit 2019 jedes Jahr mehr Anfragen: von Eltern, die sich um ihre Kinder sorgen, von Ärztinnen, die auf Notfallstationen um das Überleben von Patienten kämpfen. Anfragen von Laien bildeten die Mehrheit, erklärt Colette Degrandi, Human-Toxikologin bei Tox Info, gegenüber SRF. Es gebe zwei Hauptkategorien: «Kinder, die versehentlich etwas einnehmen, und Menschen, die sich absichtlich vergiften, um Suizid zu begehen.»
Tox Info in Not: Das Jahr 2025 sei ein Wendepunkt, schreibt die Geschäftsleitung im Jahresbericht 2024. «Entweder kann die langfristige Finanzierung bis Ende Jahr gesichert werden oder die Stiftung muss Anfang 2026 aufgelöst werden, um einen Konkurs abzuwenden.» Der Giftnotruf ist seit Langem unterfinanziert. 2024 schloss der Giftnotruf das Betriebsjahr mit einem Minus von rund 800'000 Franken ab.
Soforthilfe vom Bund? Tox Info fordert 1.1 Millionen Franken, weil sich Geldgeber zurückgezogen oder ihre Beiträge gekürzt haben. Ob der Bund in dieser Höhe Geld gibt, ist offen. Die Notfallnummer 145 ist in den letzten Jahren jedoch nicht nur häufiger gewählt worden, ihr Betrieb wurde auch teurer: Mehr Personal und höhere Löhne liessen die Kosten für das Jahr 2024 auf 4.3 Millionen Franken steigen. Der Präsident des Stiftungsrats von Tox Info, Josef Widler, sagt auf Anfrage von SRF, dass bis Ende September die finanzielle Zukunft geklärt sein sollte.
Könnte KI Aufwand und Kosten senken? Kaum, sagt Colette Degrandi, Oberärztin bei Tox Info. Die akute Toxikologie sei ein medizinisches Nischengebiet und man finde im Internet neben korrekten Fakten auch viele Mythen und Halbwahrheiten, erklärt Tox Info. Bei Giften sei die Herausforderung, Wahres und Unwahres auseinanderzuhalten, was einer Person ohne toxikologisches Fachwissen oft nicht möglich ist. «Es braucht medizinisches Wissen», sagt die Toxikologin.
Dr. ChatGPT fragen? Auch bei Vergiftungen gebe es den Trend, Dr. ChatGPT eine Erstdiagnose stellen zu lassen. Das Phänomen sei jedoch nicht neu. Tox Info falle auf, dass dadurch mit den Jahren die Verunsicherung eher zugenommen habe, weil im Internet eine sehr grosse Informationsmenge vorhanden sei. «Für Laien ist es schwierig zu unterscheiden, welche KI-Daten wahr oder glaubhaft sind und welche nicht», sagt Colette Degrandi. Betroffene, die bei Tox Info anrufen würden, seien durch die Informationen von KI eher verwirrt.
Dr. Chat GPT der Zukunft? Dass sich Laien mithilfe von KI selbst behandeln, hält Tox Info auch in naher Zukunft nicht für wahrscheinlich. Doch KI könnte zum Beispiel mithilfe von Large Language Models (LLMs) die riesige Tox-Info-Datenbank für die beratenden Ärzte besser nutzbar machen. Die Toxikologin würde Informationen zu einem Fall mündlich eingeben und die Maschine würde auf der Basis der Daten aus den vergangenen 60 Jahren eine erste Kategorisierung zur Schwere eines Falles machen.