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Neue Anreizsysteme Schweizer Verein geht gegen Engpass von Antibiotika vor

Ein privater Verein will die Entwicklung neuer Antibiotika vorantreiben. Denn die Lage ist besorgniserregend.

Gelbe Markierungen am Boden signalisieren die Isolation im Berner Inselspital. Gleich zwei Personen liegen auf der Intensivstation, die – unter anderem – an antibiotikaresistenten Bakterien leiden. Sie werden von den anderen Patientinnen und Patienten getrennt, damit sie diese nicht anstecken.

Ein Medikamentenschrank im Inselspital Bern.
Legende: Ein Medikamentenschrank im Inselspital Bern. Keystone/GAETAN BALLY

Christine Thurnheer, Leitende Ärztin Infektiologie am Inselspital, sagt, in den letzten Jahren hätten die Fälle von Personen mit multiresistenten Erregern spürbar zugenommen. Heute finde man zwar meistens noch ein Reserveantibiotikum, mit dem man behandeln könne, aber manchmal stehe man bereits «mit dem Rücken zur Wand».

Ein Markt spielt nicht mehr

Der Grund: Es hapert mit dem Nachschub von neuartigen Antibiotika. Und das schon seit Jahren. Denn ein grosser Teil der Pharmaindustrie hat sich aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen, da sich diese für sie nicht mehr lohnt. Expertinnen und Experten sprechen von einem «broken market», von einem Markt, der nicht mehr spielt.

Diesen Markt will jetzt ein privater Verein neu beleben, nämlich der «Round Table on Antibiotics», der Runde Tisch Antibiotika. Der Verein besteht aus Personen aus Wissenschaft, Industrie und Politik. Der Verein ist überzeugt, dass nur Anreizsysteme die Pharmaindustrie wieder dazu bringen, genügend neue Antibiotika zu entwickeln.

Auch Politik appelliert

Er lanciert darum jetzt ein Projekt, mit dem ein solches Anreizsystem ausgestaltet und dann in einem Pilotprojekt getestet werden soll. Denkbar wäre zum Beispiel eine Art Abomodell. Dabei finanziert das Pharmaunternehmen Forschung und Entwicklung eines Antibiotikums. Der Staat garantiert dem Unternehmen für den Erfolgsfall auf eine bestimmte Anzahl Jahre fixe Einkünfte und erhält dafür die Garantie, dass das entsprechende Antibiotikum verfügbar bleibt.

Das, was jetzt ein privater Verein vorantreibt, fordern Politikerinnen und Politiker von links bis rechts seit Jahren vom Bundesamt für Gesundheit. Ob LDP-Nationalrätin Patricia von Falkenstein von der FDP-Fraktion, SP-Nationalrätin Yvonne Feri oder FDP-Nationalrätin Doris Fiala – alle forderten in parlamentarischen Vorstössen vom Bund, er solle tätig werden und Anreizmodelle prüfen.

Der Bundesrat zeigte sich in seinen Antworten jeweils sehr zurückhaltend bis ablehnend. Und auch heute sagt Simon Gottwalt vom BAG, Anreizsysteme müssten international koordiniert entwickelt werden.

«Wer, wenn nicht die Schweiz?»

Barbara Polek, Geschäftsführerin des Runden Tischs Antibiotika, sagt dazu, sie sei auch überzeugt davon, dass Anreizsysteme nur funktionierten, wenn sie von mehreren Ländern koordiniert eingesetzt würden. Sie sagt aber auch: «Wer, wenn nicht die Schweiz, mit ihrer starken Forschung, der Pharmaindustrie und den vielen innovativen KMU soll hier vorangehen?»

Der Gedanke macht uns Sorgen, dass eines Tages wieder Menschen an bakteriellen Infektionen sterben könnten, die heute als behandelbar gelten.
Autor: Christine Thurnheer Infektiologin Inselspital Bern

Für Infektiologin Christine Thurnheer vom Inselspital ist vor allem eines entscheidend: dass auch in Zukunft Antibiotika verfügbar sind, die wirken: «Der Gedanke macht uns Sorgen, dass eines Tages wieder Menschen an bakteriellen Infektionen sterben könnten, die heute als behandelbar gelten. So wie in der Zeit, bevor es Antibiotika gab.»

10 vor 10, 10.11.2022, 21:50 Uhr

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