Auf Anfang Jahr ist das Nationalstrassen-Netz der Schweiz über Nacht um über 400 Kilometer gewachsen: Verschiedene Kantonsstrassen sind in Bundeshand übergegangen. Nun zeigt ein Bericht, dass darunter einige kritische Abschnitte sind. Hat der Bund also einige Sorgenkinder geerbt?
Die kritischen Strecken liegen mehrheitlich in den Gebirgskantonen Wallis, Graubünden und Bern. Das zeigt der 41-seitige Bericht des Bundesamtes für Strassen über den Zustand der neuen Strecken.
Doch Benno Schmid, Mediensprecher beim zuständigen Bundesamt Astra, mag sich darüber nicht ärgern. «Bei einer Erbschaft weiss man nie, was man bekommt», sagt er. Es sei aber so, dass die neuen Nationalstrassen vom Parlament festgelegt worden seien. Dieses habe unabhängig vom Zustand der Strecken entschieden, es seien andere Kriterien ausschlaggebend gewesen.
Ein Kriterium war, dass die Strecken mittelgrosse Städte oder Tourismuszentren ans Nationalstrassen-Netz anschliessen. Dabei lautete die Vereinbarung mit den Kantonen: Strassen gegen Geld. Die Kantone übergeben ihre Strecken und zahlen fortan 60 Millionen Franken jährlich in die Strassenkasse des Bundes, in den Nationalstrassen- und Agglomerations-Verkehrs-Fonds. Neu im Netz der Nationalstrassen ist beispielsweise die Strecke über den Julier-Pass im Kanton Graubünden, 56 Kilometer zwischen Thusis und Silvaplana.
«Die detaillierte Analyse zeigt, dass die Fahrbahnen und somit die Beläge, aber auch die Brücken in einem relativ guten bis sehr guten Zustand sind», sagt Kantonsingenieur Reto Knuchel. Kritisch seien vor allem die Tunnels auf dieser Strecke beurteilt worden. Der Kanton habe in den vergangenen Jahren viel investiert und werde es auch noch in den nächsten zwei Jahren tun. Begonnene Projekte würden noch zu Ende geführt.
Das spricht laut Kantonsingenieur Knuchel auch gegen die These, dass der Kanton Graubünden die Strasse bewusst in einem schlechten Zustand dem Bund übergeben haben könnte, um damit Kosten einzusparen.
Kritisch: Strecke zum Grossen St. Bernhard
Im Kanton Wallis formuliert es Ingenieur Jacques Rudaz etwas anders: Der Kanton habe ein Strassennetz von rund 1600 Kilometern Länge, diese sei also vergleichbar mit jener des Nationalstrassen-Netzes. Allerdings stehe dem Kanton, verglichen mit dem Bund, nur ein Zehntel der finanziellen Mittel zur Verfügung, weshalb er Prioritäten setze.
Als kritisch wird im Kanton Wallis die knapp 40 Kilometer lange Strecke zum Grossen St. Bernhard eingestuft sowie die Strecke Gampel – Goppenstein, zum Autoverlad durch den Lötschberg. Auf beiden Strecken müssen die Fahrbahnen und Beläge, die Kunstbauten sowie Sicherheitsvorkehrungen wie etwa die Tunnelbelüftung erneuert werden.
Wir sind sicher, dass wir bei der einen oder anderen Strecke noch auf Überraschungen stossen werden.
In einem nächsten Schritt will das Bundesamt Astra die neuen Strecken genau unter die Lupe nehmen. «Wir sind sicher, dass wir bei der einen oder anderen Strecke noch auf Überraschungen stossen werden», sagt Mediensprecher Benno Schmid. «Wir müssen diese Strecken zuerst kennenlernen.» Das Nationalstrassen-Netz werde um ein Viertel seiner Grösse erweitert.