Unsere Demokratie kann nur funktionieren, wenn Menschen bereit sind, politische Ämter zu übernehmen. Doch wie viele Schweizerinnen und Schweizer wären tatsächlich dazu bereit? Eine neue Studie im Rahmen der SRG-Umfrage hat sich dieser Frage gewidmet. Alois Stutzer, Professor für Politische Ökonomie an der Universität Basel, war an der Untersuchung beteiligt und erklärt, wie motiviert die Bevölkerung ist, sich politisch zu engagieren.
SRF News: Wie hoch ist die Motivation für politisches Engagement?
Alois Stutzer: Wir waren positiv überrascht, dass die Motivation, sich politisch zu engagieren, in der Schweiz im Durchschnitt relativ hoch zu sein scheint. 18 Prozent der Befragten gaben an, dass sie konkret schon einmal darüber nachgedacht haben, ein politisches Amt zu übernehmen.
Jene, die eine Fachhochschule oder Universität besucht haben, neigen stärker dazu, sich politisch zu engagieren.
Weitere 25 Prozent haben sich das zumindest allgemein überlegt. Insgesamt hat sich also über ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger schon mit dieser Frage beschäftigt – das war für uns durchaus erstaunlich.
Warum ist dieses Ergebnis überraschend?
Ein politisches Mandat erfordert Zeit, viele Aufgaben sind ehrenamtlich und nicht grosszügig vergütet. Es war daher nicht klar, ob wirklich ein so grosser Teil der Bevölkerung sich vorstellen könnte, ein solches Amt zu übernehmen.
Wer übernimmt politische Ämter am ehesten?
Es gibt Unterschiede in der Bereitschaft, ein politisches Amt zu übernehmen. Vor allem Männer und Menschen mit höherem Bildungsabschluss, insbesondere jene, die eine Fachhochschule oder Universität besucht haben, neigen stärker dazu, sich politisch zu engagieren oder sich zumindest mit dieser Möglichkeit auseinanderzusetzen.
Warum gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern?
Im Durchschnitt geben Frauen rund 15 Prozentpunkte seltener an, dass sie sich mit dem Gedanken eines politischen Amts befasst haben. Eine mögliche Erklärung liegt in den älteren Jahrgängen.
Politische Arbeit hat oft den Charakter von Freiwilligenarbeit.
Viele Frauen hatten nicht von Anfang an vollständige politische Rechte – das Frauenstimmrecht wurde zwar vor langer Zeit eingeführt, aber es gibt immer noch ältere Frauen in unserer Stichprobe. Dieser Unterschied in der politischen Beteiligung setzt sich bis heute fort.
Wie kommt man zu einem politischen Amt?
Häufig suchen ehemalige Gemeinderätinnen und Gemeinderäte gezielt Nachfolgerinnen und Nachfolger. Auch Präsidentinnen und Präsidenten lokaler Parteien überlegen sich, wer für eine politische Aufgabe geeignet wäre, und treten an potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten heran. In der Schweizer Gemeindepolitik hat dies oft den Charakter von Freiwilligenarbeit. Deshalb werden häufig Personen angesprochen, die bereits in der Gemeinde aktiv sind, zum Beispiel in einem Verein.
Sollten junge Menschen gezielter gefragt werden?
Unsere Untersuchung zeigt, dass ältere Menschen häufiger für politische Mandate angefragt werden, während viele junge Leute sich grundsätzlich vorstellen könnten, ein Amt zu übernehmen. Hier besteht eine grosse Chance, mehr junge Menschen gezielt zu motivieren und ihnen politische Verantwortung zu übertragen. Unsere Befragung zeigt, dass die Motivation für politisches Engagement in der Schweiz durchaus vorhanden ist – aber die aktive Ansprache und Einbindung bestimmter Gruppen könnte weiter verstärkt werden.
Das Gespräch führte Nicolas Malzacher.