Zum Inhalt springen

NGO in der Bredouille Negativschlagzeilen um Schweizer Hilfswerke häufen sich

Innerhalb einer Woche wurden Missstände bei vier Schweizer Hilfswerken publik. Ein strukturelles Problem?

Schweizerisches Rotes Kreuz: Eine Chefin mit angeblicher Führungsschwäche muss zurücktreten. Pro Infirmis: mit einem Millionendefizit. Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (Heks): Kann gemäss der «NZZ am Sonntag» hunderte Asylsuchende nicht an wichtige Gespräche begleiten. Und auch der Schweizer Tierschutzverband stand zuletzt in der Kritik, wie die «NZZ» berichtete.

Dass es bei Organisationen zu Reibereien oder Krisen kommen kann, überrascht wenig. Dass solche aber innerhalb von einer Woche gleich bei vier Schweizer Hilfswerken publik werden, hingegen schon eher.

Zewo: Begleitung «auch in stürmischen Zeiten»

Martina Ziegerer ist Geschäftsleiterin der Stiftung Zewo. Sie ist für die Vergabe des Zewo-Gütesiegels verantwortlich. Wenn ein Hilfswerk damit ausgestattet ist, hat es die 21 Zewo-Anforderungen erfüllt, gilt als integer, ethisch und unabhängig. Drei der vier genannten Organisationen müssen diese Standards einhalten, nur der Schweizer Tierschutz ist nicht Zewo-zertifiziert.

Die 21 Zewo-Standards

Box aufklappen Box zuklappen

Insgesamt gibt es 21 Zewo-Standards, welche Hilfwerke einhalten müssen, wenn sie das Gütesiegel erhalten wollen. Dabei geht es etwa um ethische Grundsätze, Anforderungen an die Führung und Organisation, die Finanzen, Netzwerke oder die Abteilungen Fundraising und Kommunikation. Alle fünf Jahre findet eine Rezertifizierung statt, die Standards müssen also laufend eingehalten werden.

Dieses Gütesiegel kostet auch; gemäss der Zewo muss man mit «einmaligen Kosten von 3000 bis zu 5000 Franken rechnen». Um es nach fünf Jahren erneut zu bekommen, werde für die Prüfung im Normalfall zwischen 2500 und 3500 Franken fällig. Besonders kleinere NGO geben Kosten- oder Ressourcengründen an, die gegen eine Zertifizierung sprechen.

Ziegerer stellt klar: «Wir stehen mit den Organisationen in Kontakt und begleiten diese eng, auch in stürmischen Zeiten.» Stellt man dennoch fest, dass Zewo-Anforderungen nicht eingehalten werden, werden Massnahmen getroffen.

Steht eine Organisation beispielsweise finanziell nicht mehr auf sicherem Boden, kann die Zewo einen Finanzplan anfordern und Ziele definieren. Sie koppelt diese meistens an eine Frist. Verfehlt die Organisation die Ziele, kann die Zertifizierung entzogen werden.

Ob oder welche Massnahmen bei den oben genannten Hilfswerken getroffen werden, lässt Ziegerer offen; zunächst gelte es, die unterschiedlichen Fällen genau zu prüfen. «Man muss jeweils genau anschauen, welche Standards nicht eingehalten wurden.»

«Organisationen sollen gut arbeiten»

Klar ist: Nicht alle, aber ein Grossteil der Schweizer Hilfswerke sind Zewo-zertifiziert. Insgesamt seien es 498, heisst es. Und von den insgesamt 2.4 Milliarden Franken, welche Schweizer Hilfsorganisationen durch Spendengelder erhalten haben, gingen rund zwei Drittel an Organisationen mit Zewo-Zertifikat.

Solche Probleme sollten nicht in diesem Grad stattfinden.
Autor: Caroline Brüesch Professorin

Caroline Brüesch ist Professorin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Dort lehrt sie auch zum Thema Nonprofit Management, also, wie Hilfswerke geführt werden sollten. «Solche Probleme sollten nicht in diesem Grad stattfinden», sagt Brüesch. Organisationen wie das Schweizerische Rote Kreuz oder Pro Infirmis stehen im öffentlichen Interesse, werden in den Medien regelmässig abgebildet. «Wir alle wollen, dass diese Organisationen gut arbeiten.» Und werden die Ziele nicht erreicht, überrascht eine negative Berichterstattung gemäss Brüesch nicht.

Ein externer Untersuchungsbericht wirf der zurückgetretenen SRK-Präsidentin Barbara Schmid-Federer Führungsschwäche vor.
Legende: Ein externer Untersuchungsbericht wirft der zurückgetretenen SRK-Präsidentin Barbara Schmid-Federer Führungsschwäche vor. Sie bestreitet dies. KEYSTONE/Anthony Anex

Blickt Brüesch auf die vergangene Woche zurück, streicht sie einiges heraus: Einerseits scheint die Governance, also die Art und Weise, wie ein Hilfswerk geführt wird, nicht immer funktioniert zu haben. Gerade, weil Hilfswerke auch auf ehrenamtliche Arbeit angewiesen sind, würden sich hier besondere Anforderungen stellen – vor allem dann, wenn diese Personen «an Bestehendem» festhalten wollen.

Andererseits existiert gemäss Brüesch auch ein Spannungsfeld zwischen einem Auftrag, der zu erfüllen ist, und den Ressourcen, die bei den Hilfswerken vorhanden sind. Viele Aufgaben, wenig Mittel also. Insbesondere beim Heks und der Pro Infirmis könne dies beobachtet werden.

10 vor 10, 09.06.2023, 21:50 Uhr

Meistgelesene Artikel