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Offener Brief an Bundesrätin Gesundheitswesen: So soll es finanzierbar bleiben

Die neue Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider bekommt dicke Post: In einem Positionspapier legen Fachleute dar, wie das Gesundheitswesen 20 Prozent weniger kosten könnte.

Stefan Spycher, Geschäftsführer der Schweizer Gesundheitsstiftung «Careum», findet: Darüber, wie das Gesundheitswesen reformiert werden könnte, wurde in den vergangenen Jahren genug geredet, alle Vorschläge und Ideen lägen auf dem Tisch. Das Problem sei die Durchsetzbarkeit wegen zu vieler divergierender Interessen. Es gehe nicht um die perfekte Lösung, sondern um eine, die überhaupt in die richtige Richtung gehe, so Spycher.

Die Kosten seien dabei ein Faktor – aber nicht das Hauptproblem. Vielmehr plagen die Initianten der Fachkräftemangel und die Digitalisierung, die im Gesundheitswesen nur schleppend voran kommt. Aber: Es liesse sich schon etwas erreichen bei den Kosten, ist Spycher überzeugt. «Das, was wir heute haben, könnten wir rund 20 Prozent günstiger haben – bei gleicher Qualität.»

Das Positionspapier im Detail

Um das zu erreichen, müssten alle Zugeständnisse machen: die Kantone und Spitäler, die Ärztinnen und Ärzte, die Krankenkassen sowie Konsumenten und Patientinnen. Ein erstes Beispiel ist die integrierte Versorgung – also dass Patienten mit einer Beschwerde nicht von einem Arzt zur nächsten Spezialistin weitergereicht werden – und alle starten gewissermassen wieder bei null.

Diese Fachleute stehen hinter dem Positionspapier

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Notfall-Schild im Spital Zweisimmen
Legende: Keystone/Peter Klaunzer

Den offenen Brief haben 33 Fachleute aus dem Gesundheitswesen verfasst: Uni-Professorinnen, Hausärzte, Pflegefachleute. Aber auch Spitaldirektoren und Vertreterinnen von Krankenkassen. Hinter dem Papier steht der Schweizer Teil des internationalen Gesundheitsnetzwerks «Sciana» . Dessen Überzeugung: Reformen im Gesundheitswesen funktionieren nur, wenn man sich trotz unterschiedlicher Sichtweisen auf ein paar wenige Positionen einigen kann.

Solche Modelle gibt es längst. Aber genutzt werden sie eigentlich von den Falschen, nämlich vorwiegend von Jungen und Gesunden. Hier müsse man nachhelfen, findet Spycher: «Es wäre eine prüfenswerte Idee, das organisierte, koordinierte Modell zum Standardmodell zu machen.» HMO oder Hausarztmodelle als Standard der Grundversicherung: Das hiesse auch, dass die freie Arztwahl mehr kosten würde.

Die vielen Hüte der Kantone

Lieber weniger, dafür besser koordiniert – das gilt für Spycher auch bei den Kantonen, die im Gesundheitswesen zu viele Hüte aufhätten: «Heute haben die Kantone nicht nur eine Doppel-, sondern eine Mehrfachrolle.» Sie seien Leistungsbesteller und -erbringer, Finanzierer, Eigentümer, Planer, Aufsichtsbehörde und Tarifgenehmiger. «Die Kantone haben sehr viele Rollen und können in Interessenkonflikte geraten.»

Regionale statt kantonale Spitalplanung?

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Als Beispiel für die Mehrfachrolle der Kantone nennt Spycher die Spitäler: «Die Kantone möchten mit Blick auf die Versicherten und die Prämien, dass die Spitalkosten möglichst moderat sind. Auf der anderen Seite möchten sie die Bevölkerung mit möglichst lokalen Angeboten und Strukturen zufriedenstellen.» Besser wäre es, die Kantone würden sich regional zusammenschliessen – zu fünf oder sechs Regionen – und würden die Angebote an Spitälern gemeinsam plane, sagt Spycher, der lange in leitender Funktion im Bundesamt für Gesundheit (BAG) war.

Mehr Föderalismus schlagen die Initianten des offenen Briefs hingegen bei der Prämienverbilligung vor. Denn eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung muss man sich leisten können. Viele in der Schweiz können das – aber eben nicht alle. Hier seien die Kantone gefragt, der Bund solle sich raushalten.

«Es wäre angezeigt zu prüfen, ob die Kantone die Finanzierung allein übernehmen könnten», sagt Spycher. Diese seien für die Versorgung zuständig und stünden damit in der Hauptverantwortung bei der Entstehung der Gesundheitskosten. «Und wenn sie die Kosten besser dämpfen könnten, würden die Kantone auch von einem tieferen Niveau der Prämienverbilligung profitieren.»

Auch «Reförmchen» haben’s schwer

Fazit: Weniger wäre mehr – auch bei Reformen des Gesundheitswesens. Dafür müssten Änderungen dort ansetzen, wo wirklich die grossen Kosten entstehen. Darum der offene Brief an das Gesundheitsdepartement und Elisabeth Baume-Schneider: «Ich würde der neuen Bundesrätin und dem Parlament raten, sich auf einige wenige wichtige Punkte zu fokussieren und dort zu schauen, dass man vorwärtskommt, sonst verzettelt man sich», so Spycher.

Die Erfahrung zeigt, dass das schwierig genug ist. Bis jetzt hatten es sogar Reförmchen schwer in der politischen Umsetzung. Der Weg zu 20 Prozent weniger Gesundheitskosten ist also noch weit.

Echo der Zeit, 09.01.2024, 18 Uhr

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