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Olympische Spiele 1972 Wie der Schweizer Geheimdienst dem Mossad beim Töten half

Eine israelische Sondereinheit bekam auf ihrem Rachefeldzug gegen palästinensische Terroristen Hinweise aus der Schweiz.

Nach dem Terror-Attentat auf israelische Athletinnen und Athleten bei den Olympischen Spielen 1972 in München schwor Israels Ministerpräsidentin Golda Meir Vergeltung und schickte den Geheimdienst Mossad auf einen Rachefeldzug – bekannt als Operation «Zorn Gottes». Eine Sonderheit des Mossad tötete über 20 Personen, die Israel für das Attentat verantwortlich machte; zum Teil waren es Hinrichtungen auf offener Strasse.

Das Münchner Olympia-Attentat

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Während der Olympischen Spiele 1972 in München verübte die palästinensische Terrororganisation «Schwarzer September» einen Anschlag auf die israelische Mannschaft. Elf der vierzehn Teilnehmer wurden ermordet, darunter fünf Athleten.

Begonnen hat das Attentat am Morgen, als die Terroristen das Wohnquartier der Israelis im olympischen Dorf überfielen und dabei zwei Sportler ermordeten und neun weitere als Geiseln nahmen. Die Verhandlungen liefen schlecht: In der Nacht zum 6. September kam es zu einem misslungenen Befreiungsversuch. Alle neun israelischen Geiseln, ein Polizist und acht der Geiselnehmer wurden getötet.

Ein neues Buch der Schweizer Historikerin Aviva Guttmann, welches sie im August veröffentlicht, zeigt nun, dass diese Operationen nur möglich waren, weil der Mossad Informationen von westlichen Geheimdiensten erhielt – unter anderem aus der Schweiz.

Schweiz lieferte entscheidenden Hinweis

Letzteres gilt insbesondere für die Ermordung von Mohamed Boudia, einem der zu jener Zeit meistgesuchten Terroristen und Mitglied der Gruppe «Schwarzer September», welche für das Münchner Olympia-Attentat verantwortlich war. Der Schweizer Nachrichtendienst habe Boudia ausspioniert, sagt Guttmann, und dann den entscheidenden Hinweis geliefert. Der Hinweis nämlich, welches Auto Boudia fuhr. In diesem platzierte der Mossad daraufhin eine Bombe, die ihn tötete.

Person mit Maske auf Balkon, schwarz-weiss Foto.
Legende: Ein Mitglied der Terrorgruppe «Schwarzer September» zeigte sich nach der Geiselnahme auf dem Balkon des Gebäudes, in dem die Geiseln gefangen gehalten wurden. Keystone

Diese Zusammenhänge konnte Guttmann aufdecken, weil sie erstmals Zugang hatte zu den bislang unter Verschluss gehaltenen Nachrichten, die sich die Mitglieder des sogenannten Berner Clubs zuschickten.

Codewort: «Kilowatt»

Der Berner Club ist ein Netzwerk verschiedener westlicher Geheimdienste. Er existiert seit 1969, die Schweiz ist Gründungsmitglied. Unter dem Codewort «Kilowatt» schickten sich die Geheimdienste in den 1970er-Jahren Informationen zu palästinensischen Terrorverdächtigen. Informationen, welche der Mossad für seinen Rachefeldzug nutzte.

Menschenmenge im Olympiastadion mit Olympischer Flagge und Fahnen verschiedener Länder.
Legende: Die Olympische Flagge und alle Flaggen der teilnehmenden Nationen wurden aufgrund des Attentats auf Halbmast gehisst. Im Hintergrund gedenken die Menschen den Opfern des Attentats. Keystone

Im Oktober 1972 – knapp einen Monat nach dem Attentat in München – tötete der Mossad ein erstes Mal, in Rom. Dann gut einen Monat später in Paris, dann in Zypern – und trotzdem seien die Informationen der anderen Geheimdienste immer weiter geflossen. «Ich verstehe das als eine Art stillschweigende Unterstützung», sagt Guttmann. Auch die Schweiz hätte wissen können, dass ihre Hinweise zu Boudia zu dessen Ermordung führen dürften. Als die Schweiz dem Mossad die Informationen schickte, lief die Operation «Zorn Gottes» schon mehrere Monate, sieben Menschen hatte der Mossad bereits getötet.

Zu viele Vorteile, um nicht mitzumachen

Guttmann sagt, sie erkenne zwei Motive, weswegen die westlichen Geheimdienste bei alledem mitmachten. Einerseits habe es Länder gegeben, die mit dem Vorgehen Israels schlicht einverstanden gewesen seien. Und für andere Länder, wie die Schweiz, seien die Informationen aus dem Netzwerk schlicht zu wichtig gewesen. «Die Vorteile aus diesem Austausch der Geheimdienste waren so gross, dass sie jegliche moralische Bedenken überwogen», sagt Guttmann. Der Berner Club existiert übrigens noch heute – und angesichts der aktuellen terroristischen Bedrohungslage dürfte der Austausch der Geheimdienste derzeit wohl intensiv sein.

Aber wie passt das alles eigentlich zusammen mit der Schweiz als neutrales Land mit einer unabhängigen Aussenpolitik? «Vielleicht müsste man genau diese Debatte führen», sagt Guttmann, «weil eigentlich ist es in einem demokratischen Land eine politische Frage, was die moralischen Grundsätze eines Geheimdiensts sein sollen.»

Rendez-vous, 02.06.2025, 12:30 Uhr; sten

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