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Omikron-Wand in der Schweiz Community-Fragen: «Wieso habe ich mich eigentlich impfen lassen?»

Die Schweiz impft seit über einem Jahr. Die Fallzahlen sind aufgrund von Omikron so hoch wie noch nie im Lande, und Impfdurchbrüche häufen sich. Das alles löst Fragen aus bei SRF-Userinnen und -Usern – gleich, ob geimpft oder ungeimpft. Wir haben sie mit SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel besprochen.

Katrin Zöfel

Wissenschaftsjournalistin

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Katrin Zöfel ist Wissenschaftsredaktorin bei SRF. Sie ist Biologin und versucht zu verstehen, wie die Wissenschaft helfen kann, Antworten auf gesellschaftlich wichtige Fragen zu finden.

SRF News: Hohe Fallzahlen und Impfdurchbrüche. Viele fragen sich: Wieso habe ich mich eigentlich impfen lassen?

Katrin Zöfel: Gute Frage. Ja, es wäre schön, wenn die Immunität sofort absolut wetterfest wäre. Ist sie aber nicht. Ich hole ein bisschen aus: Das Coronavirus ist erst ganz frisch in den Menschen übergewechselt. Evolutionsbiologisch betrachtet war das sozusagen vorgestern. Und jedes Mal, wenn das passiert, beginnt eine Art «Schaukelbewegung». Nach einer Infektion baut das Immunsystem in immer mehr Menschen einen Immunschutz auf, angepasst an die erste Variante. Das Virus entwickelt weitere Varianten, die die Immunität aushebeln und die gleichen Leute noch einmal anstecken können. Darauf reagiert das Immunsystem wiederum und passt sich an. Dann gibt es wieder weitere Varianten usw. So wird der Immunschutz von Runde zu Runde immer besser und breiter und kann immer mehr Varianten abfangen.

Anders gesagt: Man bekommt durch die Impfung zwar nicht auf einen Schlag den Superschutz, aber man hat Stufe eins erreicht, mit Booster Stufe zwei, und durch eine Infektion kommt man nochmal eine weiter. Es ist wie ein Netz, das immer dichter wird - je dichter dieses Netz wird, umso näher kommen wir der endemischen Situation.

Ende November hat das BAG kommuniziert, dass die Schutzwirkung nach sechs Monaten noch bei 50 Prozent ist. Kürzlich wurde die Frist für den Booster von sechs auf vier Monate heruntergesetzt. Wieso variiert der Schutzfaktor der Impfung?

Das kennt man schon von anderen Coronaviren. Das Immunsystem bildet zwar einen Schutz nach einer Infektion, der hält aber nicht ewig. Wie oben beschrieben, wird er von neuen Varianten immer wieder ganz oder teilweise ausgehebelt. Das macht die Sache so mühsam und langwierig.

50 Prozent Schutz vor Ansteckung und leichtem Verlauf bedeutet, dass unter 100 Geimpften sechs Monate nach Impfung nur halb so viele leicht erkranken wie unter Ungeimpften. Das ist nicht perfekt, aber auch weit weg von einer «Nullwirkung».

Ist der Verlauf bei einem Impfdurchbruch wie angekündigt milder?

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Ja, Daten aus den Wochenberichten des deutschen Robert-Koch-Institutes zeigen, dass der Impfschutz bewirkt, dass geimpfte Infizierte immer noch weniger häufig so schwer krank werden, dass sie ins Spital oder auf die Intensivstation müssen oder sterben als ungeimpfte Infizierte. Das verstärkt sich noch nach einer dritten Dosis, also nach dem Booster.

Das heisst nicht, dass es keine schweren Verläufe nach Impfung oder nach Booster gibt, aber es sind weniger. Der Begriff «mild» umfasst übrigens alle Verläufe, bei denen es nicht zu starker Kurzatmigkeit kommt, die eine starke Sauerstoffgabe im Krankenhaus nötig macht.

Starke grippeartige Verläufe mit Fatigue, Fieber und Muskel- und Kopfschmerzen sowie Krankenhausaufenthalte ohne starke Sauerstoffgabe gelten nach WHO-Kriterien noch als mild. Hier klafft die Art, wie der Begriff «mild» allgemein verstanden wird, und die Art, wie Mediziner diesen Begriff verwenden, arg auseinander.

Die Zahl der Impfdurchbrüche wird durch Omikron mit Sicherheit noch steigen, weil diese neue Variante die erworbene Immunität relativ stark umgehen kann.

Wieso haben die Impfstoffhersteller nicht von Anfang an drei Dosen empfohlen?

Weil man das am Anfang noch nicht absehen konnte. Die Corona-Impfstoffe sind die allerersten gegen Coronaviren überhaupt, und jedes Virus funktioniert anders. Also musste man sich herantasten. Auf Dauer ist wohl eine angepasste Auffrischung jeweils vor der Wintersaison plausibel, aber die epidemiologische Lage kann – zum Beispiel durch das Auftreten neuer Varianten – Auffrischungen nötig machen, die noch dazwischen geschoben werden. Es bleibt ein Herumprobieren und Herantasten. Wie sich das Impfschema bei Corona genau etablieren wird, ist noch offen.

Wie sich das Impfschema bei Corona etablieren wird, ist noch offen. Auf Dauer ist wohl eine angepasste Auffrischung jeweils vor der Wintersaison plausibel.
Autor: Katrin Zöfel SRF-Wissenschaftsredaktorin

Welchen Einfluss hat die Impfung jetzt und in Zukunft?

Aus den bisherigen Erfahrungen kann man vorsichtig den Schluss ziehen, dass eine bestehende Immunität (durch Impfung oder durch Immunität) hilft, die Folgen einer weiteren Infektion abzumildern. Auch dann, wenn neue Varianten auftauchen, die die bestehende Immunität teilweise umgehen können. So wie jetzt bei Omikron. Es ist aber fast unmöglich abzuschätzen, wie gut weitere, neue Varianten die bestehende Immunität unterlaufen werden, also das heisst, wie gut dem Coronavirus eine Immunflucht gelingt.

Dazu kommt: Je länger Impfungen oder starke Infektionswellen zurückliegen, umso stärker nimmt – nach allem, was man bis jetzt weiss – die Immunität in der Bevölkerung wieder ab. Das heisst auch: Mit Blick auf den nächsten Herbst wird es dann wichtig abzuschätzen, ob die Immunität reicht oder ob es Auffrischungsimpfungen braucht, um eine neue Herbst-Winter-Welle abzuflachen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass das Coronavirus weitere Varianten hervorbringt, die die Immunantwort noch besser austricksen können?

Von Coronaviren, die in Tieren zirkulieren, weiss man, dass sie eine grosse Vielfalt entwickeln können. Dem sind grundsätzlich kaum Grenzen gesetzt. Es spricht aber einiges dafür, dass das Spike-Protein ein wirklich guter Angriffspunkt für die Impfstoffentwicklung ist, ein Glücksfall sozusagen. Das Virus nutzt das Spike-Protein, um an menschliche Zellen anzudocken, das Virus ist also für sein Fortkommen auf die Spikes angewiesen und kann sie nicht beliebig verändern.

Selbst wenn eine Veränderung im Spike grosse Vorteile bringen würde, um der Immunantwort auszuweichen, handelt sich das Virus mit einer starken Veränderung am Spike den Nachteil ein, dass es Zellen nicht mehr so gut infizieren kann. Dieser Glücksfall, also dass Forscher die Spikes als Angriffspunkt ausgewählt haben, fusst übrigens auf Erfahrungen, die man nach 2003 gemacht hat, beim Versuch Impfstoffe gegen das erste Sars-Coronavirus zu entwickeln.

Hat uns das BAG zu wenig über Schwächen der Impfstoffe aufgeklärt? 

Die Situation ändert sich laufend und das macht die Kommunikation sehr anspruchsvoll. Was vor Delta im Juni 2021 noch gegolten hat, stimmte im November 2021 schon nicht mehr. Ähnlich stark wie Delta ändert jetzt Omikron das Bild. 

Ob jetzt eine Kommunikationskampagne mehr überzeugt hätte, die von Anfang an klargemacht hätte, dass es einen zuverlässigen, kompletten Schutz vor Ansteckung auch nach der Impfung nicht geben wird, ist im Nachhinein schwer zu sagen.  Untersuchungen aus Dänemark legen allerdings nahe, dass zu vage Kommunikation das Vertrauen in die kommunizierten Informationen schmälert.

Corona-Impfung: Wer haftet bei gesundheitlichen Schäden?

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Wer haftet, wenn der Impfstoff trotz gründlicher Studien plötzlich Impfschäden oder langfristige gesundheitliche Probleme verursachen würde?

Die Schweiz hat mit Pharmafirmen wie Pfizer, Moderna und Co. Beschaffungsverträge abgeschlossen. Diese Verträge werden vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und den Pharmafirmen aus verhandlungstaktischen Gründen geheim gehalten. Was genau zur Haftungsfrage in diesen Verträgen steht, ist also nicht bekannt.

Aber: Bei Covid-19-Impfstoffen haftet gemäss Produktehaftpflichtgesetz (PrHG) grundsätzlich der Hersteller für Produktmängel. Der Bund kann sich gegenüber den Herstellern lediglich vertraglich dazu verpflichten, allfällige Schäden, die dem Hersteller aus dessen Haftpflicht entstehen, in bestimmten Fällen auszugleichen (sog. Schadensdeckung des Bundes).

Laut geltendem Epidemiengesetz haftet der Bund aber ohnehin bis zu einem gewissen Grad für die Corona-Impfungen. Dies, weil der Bund und die Kantone die Impfung empfehlen. Das heisst, wenn der Hersteller den Schadenersatz für den Geschädigten nicht leisten kann, dann haftet der Bund.

Wie viele Impfdurchbrüche gibt es nun eigentlich? Liegen diese im erwarteten Bereich?

Das BAG erfasst seit Anfang Oktober nur noch jene Impfdurchbrüche systematisch, die zu einer Hospitalisierung und/oder zum Tod führen. Bei milderen Verläufen, die man zu Hause auskuriert oder die symptomlos verlaufen, wird der Impfstatus nicht standardmässig erfasst. Deshalb lässt sich die Frage nach der Häufigkeit für die Schweiz nicht beantworten. Genauere Angaben gibt es aus Österreich und aus Deutschland.

In den Wochenberichten des deutschen Robert-Koch-Institutes kann man sehen, dass symptomatische Impfdurchbrüche inzwischen häufig sind und schwere Fälle, die nach einem Impfdurchbruch ins Spital auf die Intensivstation oder zum Tod führen, zwar selten sind, aber häufiger werden. Trotzdem ist immer noch eine deutliche Schutzwirkung der Impfung zu sehen. Die Frage nach dem «erwarteten Bereich» sauber zu beantworten, ist schwer, weil es gar keine klaren Erwartungen geben konnte.

Als Zwischennote ist vielleicht die Note ‹gut› bis ‹befriedigend› angemessen.
Autor: Katrin Zöfel SRF Wissenschaftsredaktorin

Wäre es sinnvoll, Impfdurchbrüche konsequent zu erfassen?

Der Entscheid des BAG macht es tatsächlich schwerer, rasch zu erkennen, wie schnell der Impfschutz in der Schweizer Bevölkerung wie stark nachgelassen hat. Eine klarere Datenlage hätte den Entscheid für den früheren Booster vielleicht beschleunigt.

Welche Noten würden Sie dem Impfstoff geben?

Also nur als Zwischenbilanz. Man weiss noch nicht, wie gut sich der Immunschutz über mehrere Impfdosen und über längere Zeit aufbaut und ob es irgendwann einen dauerhaften Schutz geben wird. So als Zwischennote ist vielleicht «gut» bis «befriedigend» angemessen. Die aktuellen Impfstoffe sind sehr viel mehr als das, was Gesundheitsbehörden und Ärzte vor anderthalb Jahren in der Hand hatten. Damals war noch nicht einmal klar, ob Impfstoffe gegen ein Coronavirus überhaupt machbar sein würden.

Dieses Gespräch führte Deborah Schlatter. 

Tagesschau, 10.01.2022, 20:00 Uhr ; 

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