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Opferbilanz steigt 130 weitere Betroffene von Missbrauch in der katholischen Kirche

Im vergangenen Jahr identifizierte eine Schweizer Pilotstudie 1002 Missbrauchsfälle ab 1950. Die Studie zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche wurde im September 2023 präsentiert.

Heute, sechs Monate später, ist die Zahl der gemeldeten Fälle weiter gestiegen. Der Ressortverantwortliche der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Joseph Maria Bonnemain, zieht gegenüber SRF Bilanz: «Seit Ende September 2023 haben Sie sich bei den Bistümern insgesamt zwischen 120 und 130 Betroffene gemeldet. Wahrscheinlich haben sich weitere Betroffene auch bei anderen Organisationen und Stellen gemeldet.» Diese hätten noch nicht erfasst werden können.

Im Vergleich zu den Vorjahren sind 130 neue Meldungen in sechs Monaten eine sehr hohe Zahl. 2022 hatten sich im gesamten Jahr 34 Missbrauchsbetroffene bei den zuständigen Stellen gemeldet. Für den Churer Bischof ist die Zunahme der Meldungen ein Effekt der Publikation der Pilotstudie. «Ein Ziel der Studie war gerade auch, Betroffene zu ermutigen, sich zu melden. Das geschieht nun. In den kommenden Monaten werden sich sicher weitere Betroffene melden.»

Bistum Basel mit den meisten Fällen

Der grösste Teil der neuen Meldungen kommt aus dem Bistum Basel. Seit dem 12. September 2023 gingen insgesamt 92 Meldungen ein, wie die Bistumsleitung heute mitteilt. Die meisten Fälle liegen weit in der Vergangenheit zurück. 58 Meldungen beträfen mutmassliche sexuelle Handlungen mit Kindern. «Soweit heute bekannt, beziehen sich zwei davon auf einen Vorfall im 21. Jahrhundert», heisst es weiter in der Mitteilung.

Bischof Gmür abgemahnt

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In einem Fall von mutmasslichen sexuellen Übergriffen eines Aushilfspriesters gegenüber einer minderjährigen Person hat Bischof Felix Gmür vom Vatikan eine Mahnung erhalten. Dies teilt heute das Bistum Basel in einem Communiqué mit. Das Dikasterium für die Bischöfe habe in einem Brief vom 16. Februar 2024 zwei Verfahrensfehler festgestellt. Erstens habe Bischof Gmür die gesamte Dokumentation des Falls an den Vorgesetzten des Beschuldigten weitergegeben, was in solchen Fällen nicht ratsam sei. Zweitens sei das Dikasterium für die Glaubenslehre spät über die Anschuldigungen gegenüber dem Priester informiert worden.

Das Dikasterium sei gegenüber Bischof Gmür zu folgendem Schluss gekommen: «In Anbetracht des vorher Gesagten spricht Ihnen dieses Dikasterium eine Mahnung aus wegen mangelnder Vorsicht im ersten und wegen Unachtsamkeit im zweiten Punkt. Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass sich kein Anhalt für Absicht von Vertuschung noch für mangelnden Respekt vor der mutmasslichen Betroffenen findet.» Laut Mitteilung des Bistums Basel wolle Bischof Gmür in Zukunft alles daran setzen, damit sich solche Fehler nicht mehr wiederholen würden. Bischof Felix Gmür ist zurzeit auch Präsident der Schweizer Bischofskonferenz.

32 beschuldigte Personen seien zum Zeitpunkt des vorgeworfenen Delikts als Weltpriester oder Diakon tätig gewesen, 13 gehörten einem Orden an. Von den 92 Meldungen seien 78 aufgrund von Verjährung oder Verwirkung nach dem staatlichen Strafrecht nicht mehr verfolgbar. Mehr als die Hälfte der beschuldigten Personen seien zum Zeitpunkt der Meldung bereits verstorben gewesen. Wie die Bistumsleitung weiter mitteilt, sei ein unverjährter mutmasslicher sexueller Übergriff bei der Staatsanwaltschaft hängig.

Seit dem September 2023 habe Bischof Felix Gmür zehn Strafanzeigen eingereicht; davon würden acht Strafanzeigen verstorbene beschuldigte Personen betreffen.

Anzeigen bei der Polizei

Der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain hält allgemein fest: Die meisten neu gemeldeten Fälle lägen bis zu 50 Jahre zurück. «Und dennoch ist jeder Fall tragisch. Jeden Fall nehmen wir sehr ernst. Das heisst, dort, wo die angeblichen Täter leben, machen wir sofort eine Anzeige bei der Polizei oder bei den Straf­ver­folgungs­behörden.» Eingeschaltet werde auch das Dikasterium für die Glaubenslehre in Rom.

Das Spektrum der neu gemeldeten Übergriffe sei sehr breit. Bonnemain: «Von unangebrachten Äusserungen über Berührungen bis zu einer Vergewaltigung. Es gibt Betroffene, die erwachsene Personen waren. Es gibt Betroffene, die zur Zeit der gemeldeten Übergriffe in Kinderheimen, in Schulen, im Unterricht waren.»

Seit Veröffentlichung der Missbrauchsstudie im September 2023 hat die römisch-katholische Kirche laut Bischof Bonnemain Entschädigungen an 43 Missbrauchsbetroffene ausbezahlt, bis heute insgesamt über 400'000 Franken.

Regionaljournal Basel, 05.03.2024, 12:03 Uhr;kobt

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