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Pannenstreifen als Fahrspur? Wenig Freude im Tessin an den Staumassnahmen aus Bern

Die Pläne des Bundes gegen die täglichen Staus im Südtessin stossen auf scharfe Kritik aus der Bevölkerung.

Die Proteststimmen der Dorfbewohner, die gegen die Pläne des Bundes kämpfen, sind laut. Der Bundesrat will nämlich den täglichen Stau zwischen Lugano und Mendrisio mit einer dritten Autobahnspur auf dem Pannenstreifen bekämpfen. In Stosszeiten soll dieser geöffnet werden.

Ausbau kostet 1.7 Milliarden Franken

Weil in zwei Tunnels deshalb neu Pannenstreifen eingebaut werden müssen und ein dritter Tunnel gar neu erstellt werden muss, kosten die Ausbaupläne 1.7 Milliarden Franken. Im Dezember hat der Bundesrat das Projekt genehmigt. In den Augen der jungen grünen Gemeindepolitikerin von Coldrerio Nara Valsiangiacomo ist diese Pannenstreifen-Spur allerdings ein absolutes No-Go.

Wir brauchen weniger – und nicht noch mehr Strassen.
Autor: Nara Valsiangiacomo Gemeindepolitikerin/Grüne in Coldrerio

Denn diese sei ein Anreiz für Autofahrerinnen und Autofahrer, noch mehr zu fahren. «Das ist absolut unzulässig. Wir brauchen weniger und nicht noch mehr Strassen», betont sie. Man leide schon zu stark unter dem vielen Verkehr. In der Tat ist die Luftqualität im Mendrisiotto vergleichsweise sehr schlecht.

Die meisten Tessiner Politikerinnen und Politiker ausserhalb des Mendrisiottos sind aber für diese dritte Spur. Sie erhoffen sich von ihr tatsächlich weniger Staus.

Widerstand auch für Pläne bei Chiasso

Deutlich grösser ist der Widerstand der Mehrheit des Tessiner Kantonsparlamentes gegenüber einem weiteren Autobahnprojekt des Bundes im Südtessin. Dieses will zwischen Coldrerio und Chiasso den Pannenstreifen abgrenzen für die Lastwagen.

Autobahn im Mendrisiotto in den Boden?

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Autobahn bei Chiasso, Stau.
Legende: Keystone/Francesca Agosta

Längerfristige Pläne, die Menschen im staugeplagten Mendrisiotto vom Verkehr zu entlasten, haben namhafte Tessiner Architekten. Sie kämpfen dafür, dass sieben Kilometer der Autobahn zwischen Mendrisio und Chiasso in den Boden kommen. Einer von ihnen ist Elio Ostinelli. Er verdammt die Autobahn nicht. Sie sei ein Zeichen der ungeheuren wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte im Tessin. Allerdings verschlechtere der viele Verkehr die Lebensqualität massiv. Deshalb sollen, so Ostrinelli und eine Gruppe weiterer Architekten, sieben Kilometer Autobahn im Südtessin im Boden versenkt werden. Dabei soll der letzte Tunnel bis nach Como auf italienischer Seite führen. Sollte das Projekt in Bern und Rom auf offene Ohren stossen, würde es jedoch frühestens 2050 realisiert sein. Das würde der 75-jährige Ostinelli wohl nicht mehr erleben. Doch: «Das Projekt soll eine Perspektive für künftige Generationen sein», betont er.

Denn die Lastwagen seien derzeit eine Gefahr, wenn sie sich vor dem Zoll auf dem Pannenstreifen stauten, sagt Eugenio Sapia vom Bundesamt für Strassen Astra. Deshalb müsse der Pannenstreifen zu den anderen Spuren abgegrenzt werden, damit nicht ein Auto bei einer Panne in einen stehenden Lastwagen fährt.

Digitalisierung macht Projekt überflüssig

Die grüne Lokalpolitikerin Valsangiacomo ist dezidiert auch gegen diese Pannenstreifen-Idee. Denn mit der geplanten Digitalisierung der Zollabfertigung in Chiasso werde der Lastwagenstau vor dem Zoll verschwinden. «Warum also hier noch teure Ausgaben machen?», fragt sie rhetorisch.

Diese Abgrenzungsspur kostet 15 Millionen Franken. In den Augen viele Politikerinnen eben hinausgeschmissenes Geld. Denn der Stau am Zoll sollte durch die versprochene digitale Zollabfertigung der Lastwagen ja in ein paar Jahren entfallen. Da lohne sich die Investition von projektierten 15 Millionen Franken schlichtweg nicht.

Rendez-vous, 11.1.2023, 12:30 Uhr

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