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Patientin wird zur Dozentin Spezielle Dozentinnen an Ostschweizer Fachhochschule

In St. Gallen unterrichten zwei Frauen, die selbst psychische Krisen erlebt haben, jetzt angehende Pflegefachkräfte.

Die Fachhochschule Ost in St. Gallen setzt als erste Fachhochschule der Schweiz auf sogenannte Peers als Dozentinnen. Peers sind Menschen, die selbst einmal psychiatrische Patientinnen oder Patienten waren und nun in Gesundheitsinstitutionen als Vermittlerinnen zwischen Ärzteschaft und Patienten im Einsatz sind. Von den speziellen Dozentinnen könnten die Ausbildungsgänge für Pflegeberufe viel profitieren, heisst es an der Fachhochschule.

Was sind Peers und was bringen sie?

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Der Begriff «Peer» heisst wörtlich übersetzt der oder die Gleiche. In der Psychiatrie ist damit eine Person gemeint, die dasselbe erlebt hat wie eine Patientin oder ein Patient. Die Peer-Person hatte selber psychische Krisen und kann durch diese eigene Erfahrung auf Augenhöhe mit Patientinnen und Patienten sprechen. Dadurch könnten Peer-Personen in der Psychiatrie Brücken bauen zwischen den Patienten und den Ärztinnen.

Melina Wälle ist eine dieser speziellen Peer-Dozentinnen. Sie ist Hauptverantwortliche im Zertifikatslehrgang «Personzentrierte psychische Gesundheit» an der Fachhochschule Ost. Im zugehörigen Kurs «Gesprächsführung in psychischen Ausnahmefällen» stellt sie mit vier angehenden Psychotherapeutinnen unter anderem eine Situation nach, in der die Studierenden auf eine Patientin eingehen müssen, die nicht mehr reagiert und nur noch ins Leere blickt.

Studentinnen bilden eine Lerngruppe
Legende: Studierende profitieren an der Fachhochschule Ost fortan von ehemaligen Patientinnen, sogenannten Peers. Keystone / Martin Rütschi

Dozentin Wälle spielt in der Übung die Patientin. Und sie tut dies mit viel eigener Erfahrung, war sie doch selbst einst Patientin in der Psychiatrie. Die ausgebildete Pflegefachfrau erhielt wegen Rückenproblemen Schmerzmedikamente, die in eine Abhängigkeit führten. Depressionen kamen hinzu, sie wurde in eine Klinik eingewiesen. In der Psychiatrie traf Wälle einen Peer – ein Gespräch, das ihr in Erinnerung bleibt, wie sie einst dem Portal «Die Ostschweiz» sagte.

Zwei Peers im Kompetenzzentrum

Ihr Aufenthalt in der Psychiatrie sei schwierig gewesen, sagt Wälle gegenüber Radio SRF: «Das auszuhalten, dass ich [als Pflegefachfrau] weiss, wie das System funktioniert, dass ich weiss, dass im Stationsbüro über mich gesprochen wird, dass Entscheidungen über mich getroffen werden, ohne dass ich dabei bin.» Das Gespräch mit dem Peer habe ihr dabei stark geholfen und einige Jahre später liess sie sich selbst zur Peer ausbilden.

Ich kenne das Elend.
Autor: Helen Schneider Peer und Dozentin an der Fachhochschule Ost

Eine ähnliche Geschichte hat Wälles Kollegin Helen Schneider. «Ich kenne das Elend. Ich glaube auch, dass das der Unterschied zwischen Peers und Pflegenden ist: Wir sind sensibler», sagt sie. Diese Sensibilität versuche sie, den angehenden Fachpersonen weiterzugeben. Darum sei die Arbeit an der Fachhochschule so wichtig.

Andere Qualität dank gelebter Erfahrung

Das sieht auch die Fachhochschule so. Manuel Stadtmann, Leiter des Kompetenzzentrums Psychische Gesundheit, sagt, es sei von Anfang an klar gewesen, dass man auch in der Ausbildung auf Peers setzen wolle: «Für Patientinnen und Patienten ist es ein anderer Zugang, wenn jemand vor ihnen steht, der weiss, wie es sich anfühlt.»

Die gelebte Erfahrung habe eine andere Qualität und eine andere Intensität, sagt Stadtmann. Auch für die Studierenden. «Inhaltlich bleibt einiges hängen.» Das sieht auch eine Studentin so, die am Kurs von Melina Wälle teilnimmt: «Klar spielt sie es uns vor, aber sie gibt uns die Möglichkeit, das zu üben, was sehr wertvoll ist.»

SRF4 News, Info 3, 26.12.2022, 17:00 Uhr ; 

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