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Pendenzenberge in der Justiz Staatsanwaltschaft am Anschlag: «Seit Jahren unter Dauerstress»

Bei den Justizbehörden stapeln sich die Akten der offenen Verfahren. Die Kantone reagieren nun mit einer Taskforce.

Letzten Sommer flammten die Schlagzeilen über die überlastete Schweizer Justiz erstmals auf. Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) sprach von einem regelrechten Kollaps: Schweizweit seien 110'000 unbearbeitete Fälle pendent.

Der Tenor: Immer mehr Fälle landeten bei den Staatsanwaltschaften und liessen sich nicht innert nützlicher Frist bearbeiten. Dadurch wächst der Stapel an Pendenzen stetig. Jetzt setzt die KKJPD eine neue Taskforce ein, um gegen diesen Pendenzenberg vorzugehen.

Immer mehr Fälle, die immer länger dauern

Aus den Kantonen Thurgau, Glarus und Appenzell Innerrhoden tönt es unisono: Das Bild der Justiz am Anschlag stimme. Dies lasse sich anhand der Fallzahlen belegen.

Das Ziel ist es, diese Strafverfahren in einer angemessenen Zeit qualitativ gut zu erledigen.
Autor: Cornelia Komposch Vorsteherin Departement für Justiz und Sicherheit TG

2023 gab es zum Beispiel im Thurgau im Bereich «Verbrechen und Vergehen» rund 6000 Verfahren. Das sind 400 Fälle mehr als noch im Jahr zuvor. Hinzu kommen 2700 Strafverfahren, die noch aus dem Vorjahr stammen.

Gestiegen ist auch die Zahl der Verfahren wegen Übertretungen, beispielsweise Verkehrsdelikte. 18'000 Fälle kamen hier 2023 neu dazu – eine Zunahme von mehr als 4000 Fällen.

Laut eines aktuellen Geschäftsberichts des Thurgauer Departements für Justiz und Sicherheit liegen fast fünf Prozent aller Verfahren seit mehr zwei Jahren unerledigt herum. Justizdirektorin Cornelia Komposch sagt: «Das Ziel ist es, diese Strafverfahren in einer angemessenen Zeit qualitativ gut erledigen kann. Auch im Sinne unserer Mitarbeitenden, die seit Jahren unter einem Dauerstress stehen.»

Cornelia Komposch Bild von der Seite
Legende: Die Thurgauer Justizdirektorin Cornelia Komposch. Keystone/Gian Ehrenzeller

Gründe für den Stau in der Staatsanwaltschaft gäbe es einige: Zum Beispiel sei die Strafprozessordnung in den letzten Jahren immer mehr ausgebaut worden. So würden die Verfahren immer umfangreicher und gleichzeitig zeitintensiver. Das könne auch negative Konsequenzen haben, sagt Andrea Bettiga, Vorsteher des Departements Sicherheit und Justiz des Kantons Glarus: «Kriminelle werden zum Teil milder bestraft, weil das Verfahren zu lange dauert. Oder ein zu Unrecht Beschuldigter wartet jahrelang auf einen Freispruch. Das kann es nicht sein.»

Die Glarner Staatsanwaltschaft habe heute mehr als doppelt so viele offene Verfahren als noch 2018. Ein Vergleich: Die acht Glarner Staatsanwältinnen und -anwälte kümmern sich im Durchschnitt um 140 Fälle. Das landesweite Mittel liegt bei 100 Fällen. Deshalb müssen die Behörden Fälle priorisieren, sodass wegen der langen Bearbeitungszeit nicht plötzlich Verbrechen verjähren.

Hilft eine neue Aufgabenverteilung?

Etwas, das in Appenzell Innerrhoden geschah. 2010 verstarb ein Lehrling während der Arbeit an einer mangelhaften Maschine. Das Strafverfahren verjährte unter anderem, weil die Staatsanwaltschaft unterbesetzt war. Daraus hat der Kanton gelernt. Es gibt jetzt eine Fachkommission Strafverfolgung, damit wichtige Fälle trotz viel Arbeit nicht unter den Radar fallen.

Eine Möglichkeit ist, mehr Stellen zu schaffen. Die Innerrhoder Staatsanwaltschaft hat nun mehr Angestellte, im Kanton Thurgau arbeitet Justizdirektorin Cornelia Komposch mit befristeten Anstellungen für Staatsanwältinnen und -anwälte, um dem Pendenzberg beizukommen.

Doch wie so oft fehlt es an Fachkräften. Mit der neuen Taskforce der KKJPD soll jetzt über eine neue Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kanton diskutiert werden. Das Thema der überlasteten Justiz ist beim Bund wieder etwas mehr in den Fokus gerückt.

Regionaljournal Ostschweiz, 31.1.2024, 17:30 Uhr ; 

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