Der französische Botschafter in Bern, Fédéric Journès, beklagte am Mittwoch, dass Frankreich in den Grenzregionen Fachkräfte an die Schweiz verliert. Das hat negative Auswirkungen auf das französische Gesundheitssystem, wie er in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» sagte. So würden viele Pflegefachkräfte in der Schweiz statt in Frankreich arbeiten, weil die Löhne hierzulande besser seien.
Auch in Italien ist die Abwanderung von Fachkräften ein Thema. Sie schwächt aus italienischer Perspektive die Zukunftsaussichten des Landes. Der italienische Präsident, Sergio Mattarella, möchte darum die Auswanderung reduzieren, wie er bei seinem Schweiz-Besuch betonte. «Wir wollen, dass die Jungen zu Hause in Italien eine Perspektive haben. Und wenn sie ins Ausland gehen, dann sollen sie diesen Schritt freiwillig tun können.»
Tatsächlich zieht die Schweiz viele Arbeitskräfte aus dem Ausland an, wie ein Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigt. Demnach rekrutierten Unternehmen in den ersten Jahren, nachdem das Personenfreizügigkeitsabkommen 2002 in Kraft getreten ist, fast ausschliesslich Arbeitskräfte aus Nord- und Westeuropa. Stark wuchs zunächst die Zuwanderung aus Deutschland.
Später, während der Eurokrise wanderten wiederum viele Arbeitskräfte aus Südeuropa, also aus Spanien, Portugal und Italien ein. Nach 2013 haben diese Migrationsströmungen abgenommen. Heute ist die Zuwanderung in der Schweiz von unseren Nachbarstaaten geprägt, wie es im Seco-Bericht heisst.
Nicht nur die Zahl der Einwandernden aus den verschiedenen Ländern hat sich über die Zeit verändert, sondern auch ihr Bildungsniveau. Hierzu hat eine Studie Universität Genf eine «spektakuläre Entwicklung» beobachtet . So habe sich die Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte zwischen 1991 und 2014 mehr als verdoppelt. Das zeigt auch die Quote der ausländischen Erwerbstätigen mit einem tertiären Abschluss:
Grund für diese Entwicklung ist laut der Studie, dass sich die Wirtschaft zunehmend spezialisiert hat und mehr Personal mit hoher Qualifikation braucht. So prägt die Pharmabranche die Region Basel, Zürich ist ein starkes Finanz- und Technologiezentrum und in Genf sitzen Rohstoffhändler und internationale Organisationen. Der Bedarf an Mittel- und Niedrigqualifizierten – etwa in der Industrie – hat dagegen abgenommen.
Das Bildungsniveau der Eingewanderten unterscheidet sich von Land zu Land. So verfügten zwischen 2006 und 2016 97 Prozent der Arbeitskräfte aus Indien einen tertiären Abschluss. Bei Zugewanderten aus Portugal betrug der Anteil im Vergleich 24 Prozent.
Unterschiede gibt es auch bei den Berufen, welche die Eingewanderten ausüben. So arbeiten etwa über 50 Prozent der eingewanderten Deutschen in Führungspositionen oder akademischen Berufen. Italienischstämmige arbeiten hingegen hierzulande öfters im Handwerk, Dienstleistungssektor oder als Bürokräfte.
Aus Sicht des französischen Botschafters und des italienischen Präsidenten dürften die Arbeitskräfte im eigenen Land fehlen. Doch die Schweizer Wirtschaft braucht sie. Sowohl die Genfer Studie als auch der Seco-Bericht konstatieren, dass die Zuwanderung in der Schweiz durch die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften bestimmt ist. Hinzu kommt, dass zu wenige einheimische Arbeitskräfte ins Erwerbsleben dazustossen.