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Personalmangel Fachkräfte dringend gesucht – doch die Politik bleibt ruhig

Vielen Betrieben fehlt es an Personal, der Fachkräftemangel verschärft sich. Was sind die Rezepte der Parteien dagegen?

Dringend gesucht: Elektroinstallateur, Köchin, Ingenieur – solche Hilferufe schreiben Restaurants heutzutage gleich unter ihre Menu-Tafel und Handwerker platzieren sie auf der Rückscheibe ihrer Autos. Das Personal ist knapp, weil viele ältere Arbeitnehmer pensioniert werden und weil nach zwei Corona-Jahren wieder mehr Arbeitskräfte gebraucht werden. Bei den politischen Parteien steht das Thema jedoch nicht zuvorderst in der Agenda. Noch nicht.

Der Politologe Michael Hermann wundert sich nicht darüber. Die Politik sei nicht gut darin, vorausschauend zu handeln. Weil die Arbeitslosenquote sehr tief sei, fehle auch das akute Warnsignal: «Man war nicht richtig vorbereitet, weil die anderen Themen dominiert haben.»

Die Politik reagiere eher auf Aktualität, sagt Hermann: «Es braucht zuerst einen Leidensdruck. Die Politik ist selten gut darin, allzu weit in die Zukunft zu sehen.» Das sehe man etwa auch beim Thema Klimawandel: «Auch hier passiert typischerweise erst etwas, wenn es quasi schon brennt.»

Ist das Bildungssystem am Anschlag?

Bei der SP habe man bereits auf den Arbeitskräftemangel reagiert, betont Fraktionschef Roger Nordmann. Mit der Kita-Initiative für noch mehr Kinder-Betreuungsplätze würden vor allem Mütter motiviert, wieder eine Arbeitsstelle oder ein höheres Pensum anzunehmen.

Zudem schlägt die SP eine Aus- und Weiterbildungsoffensive im Energiebereich vor. Im Hinblick auf die Energiewende soll man sich zu Energiefachleuten ausbilden oder umschulen lassen können.

Man muss aufpassen, dass das duale Bildungssystem nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für Jugendliche attraktiv bleibt.
Autor: Roger Nordmann Nationalrat (SP/VD)

Stellt also das viel gerühmte duale Bildungssystem in den Zukunftsbranchen zu wenig Ausbildungsplätze zur Verfügung, ist das Bildungssystem am Anschlag, Roger Nordmann? «Nein, überhaupt nicht. Man muss aber aufpassen, dass das duale Bildungssystem nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für Jugendliche attraktiv bleibt.»

Das heisst für Nordmann auch, dass Leute, die eine Umschulung in Angriff nehmen, finanziell besser unterstützt werden müssen, sonst könnten sie sich das gar nicht leisten.

Wir müssen vermehrt aufzeigen, dass eine erfolgreiche Karriere lanciert werden kann, indem man eine Berufslehre macht – und die dann auch erfolgreich abschliesst.
Autor: Esther Friedli Nationalrätin (SVP/SG)

Auch die SVP setze auf die Berufslehre, betont Esther Friedli. Die Nationalrätin führt ein Restaurant und sucht Servicepersonal. Doch immer weniger junge Leute wählten einen Beruf im Gastrobereich, sagt Friedli: «Ich bedauere das sehr, denn es ist einer der schönsten Berufe – denn man kann Menschen glücklich machen. Wir müssen vermehrt aufzeigen, dass eine erfolgreiche Karriere lanciert werden kann, indem man eine Berufslehre macht und die dann auch erfolgreich abschliesst.»

Furcht vor baldiger Rezession

Darüber hinaus will Friedli einen Vorstoss für einen Personalstopp beim Bund einreichen. Der Bund schaffe dauernd neue Stellen und ziehe so der Privatwirtschaft das Personal ab. Kurzfristig könne die Politik nichts erreichen, heisst es bei der FDP. Für Ständerat Ruedi Noser ist das auch gar nicht mehr nötig, denn er befürchtet eine baldige Rezession.

Als Unternehmer höre er, dass die Aufträge in der Maschinenindustrie bereits wieder zurückgingen. Angesichts von Inflation und hohen Energiepreisen könnte die Schweiz nächstes Jahr in eine Rezession rutschen, sagt Noser. «Es könnte sein, dass wir dann bald wieder zu viele Arbeitslose haben.»

Auch SVP-Wirtschaftspolitiker gehen davon aus, dass sich die wirtschaftliche Situation bald verschlechtert. Und dass die Schilder, «Ingenieur dringend gesucht» bald wieder verschwinden könnten.

Echo der Zeit, 25.07.2022, 18 Uhr

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